1. Allgemeines.
Rn 11
Erst wenn die Unzulässigkeit der Berufung endgültig feststeht, ist sie zu verwerfen. Der Verwerfungsbeschluss muss den maßgebenden Sachverhalt wiedergeben sowie den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen (BGH ZWE 12, 336). Daraus folgt, dass das Berufungsgericht in den Fällen der Versäumung der Berufungs- oder Begründungsfrist auf Antrag des Berufungsklägers zunächst über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff) entscheiden muss (BGH NJW-RR 11, 995, 996 [BGH 23.03.2011 - XII ZB 51/11]). Dasselbe gilt, wenn eine Wiedereinsetzung vAw in Betracht kommt (§ 236 II 2). Auch wenn der Berufungskläger die Verlängerung der Begründungsfrist rechtzeitig beantragt, das Berufungsgericht darüber jedoch nicht innerhalb der Frist entschieden hat (§ 520 Rn 13), darf es die Berufung nicht vor seiner den Antrag abweisenden Entscheidung als unzulässig verwerfen. Die Verwerfung und die Zurückweisung des Wiedereinsetzungs- oder Fristverlängerungsantrags können in einer Entscheidung erfolgen.
Rn 12
Selbst wenn der Berufungskläger die Begründungsfrist versäumt hat und ihm nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, darf die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden, solange es möglich ist, sie als unselbstständige Anschlussberufung zu behandeln (BGH NJW-RR 04, 1502, 1503 [BGH 23.06.2004 - IV ZB 9/04]).
Rn 13
Hat der Berufungskläger für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe beantragt, darf das Rechtsmittel nicht wegen Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig verworfen werden, bevor über den Antrag entschieden wurde; auch die gleichzeitige Verwerfung und Versagung von Prozesskostenhilfe ist unzulässig, weil dem Berufungskläger damit die Möglichkeit genommen wird, für den Fall der Durchführung des Verfahrens auf eigene Kosten einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233) zu stellen (BGH MDR 17, 419, 420).
Rn 14
Bei mehrfacher Einlegung der Berufung durch den Berufungskläger oder durch ihn und seinen Streithelfer muss das Berufungsgericht auch über die Zulässigkeit einheitlich entscheiden, weil es sich nur um ein einziges Rechtsmittel handelt (§ 519 Rn 26). Wenn nur eine der Berufungseinlegungen sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen (Rn 5 ff) erfüllt, ist das Rechtsmittel zulässig; die Verwerfung einer anderen Einlegung als unzulässig ist nicht möglich. Anders ist es, wenn nach der Verwerfung noch eine neue Berufung eingelegt und begründet wird; ihre Zulässigkeit ist gesondert zu beurteilen.
Rn 15
Zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung ist das Berufungsgericht, also der gesamte Spruchkörper (Kammer bei den Landgerichten, Senat bei den Oberlandesgerichten), berufen. Der Einzelrichter, und zwar sowohl der entscheidende (§ 526) als auch der vorbereitende (§ 527), kann die Entscheidung nicht treffen; denn nach § 523 I 1 darf das Berufungsgericht über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erst entscheiden, wenn es die Berufung nicht als unzulässig verworfen hat.
2. Zulässigkeit der Berufung.
Rn 16
Liegen sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen (Rn 5 ff) vor, kann das Berufungsgericht darüber durch Zwischenurteil (§ 303) entscheiden. In der Regel unterbleibt dies jedoch; notwendige Erörterungen zur Zulässigkeit der Berufung finden sich dann in dem Endurteil wieder.
3. Unzulässigkeit der Berufung.
Rn 17
Ist die Berufung unzulässig, verwirft sie das Berufungsgericht durch Urt nach mündlicher Verhandlung (Rn 8) bzw durch Beschl, wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Die die Verwerfung tragenden Feststellungen müssen angegeben werden (BGH NJW-RR 16, 320 [BGH 13.01.2016 - XII ZB 605/14]; 23, 208, 209 [BGH 22.11.2022 - VIII ZB 28/21]). Beide Entscheidungsformen beenden die Instanz und sind anfechtbar, nämlich das Urt nach § 542 I mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544) bzw Revision (§ 543) und der Beschl nach Abs 1 S 4 mit der Rechtsbeschwerde (§ 547); letzteres gilt nach § 574 II allerdings nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rspr eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (BGH NJW 03, 2991 [BGH 24.06.2003 - VI ZB 10/03]). In beiden Fällen gilt die Wertgrenze von 20.000 EUR (§ 544 II 1) nicht. Neue Tatsachen und Beweise, aus denen sich die Zulässigkeit der als unzulässig verworfenen Berufung ergeben soll, können weder in der Revisions- noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz vorgebracht werden (BGHZ 156, 165).
Rn 18
Betrifft die Unzulässigkeit nur einen abtrennbaren Teil der Berufung, ist die Verwerfung entsprechend zu beschränken; Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass hinsichtlich des zulässigen Teils die Berufungssumme (§ 511 II Nr 1) erreicht wird, anderenfalls das Rechtsmittel insgesamt zu verwerfen ist. Entsprechend beschränkt zu verwerfen ist die unzulässige Berufung eines von mehreren Streitgenossen oder gegen einen Streitgenossen.
4. Entscheidungswirkung.
Rn 19
Hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel als zulässig angesehen, ist es daran ebenso gebunden (§ 318) wie an...