Rn 6
Verzichtbare Zulässigkeitsrügen müssen in der Berufung erhoben werden. Dies gilt nicht nur für ›neue Rügen‹, die erstinstanzlich noch nicht erhoben waren, sondern auch für ›alte Rüge‹. Letztere dauern nicht fort, sondern müssen in der Berufung wiederholt werden.
I. Frist.
Rn 7
Verzichtbare Zulässigkeitsrügen müssen vom Berufungskläger innerhalb der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 II), vom Berufungsbeklagten innerhalb der Berufungserwiderungsfrist vorgebracht werden. War dem Berufungsbeklagten eine Erwiderungsfrist nicht gesetzt (§ 521 II 1), muss er die Rüge in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vor der Verhandlung zur Hauptsache vorbringen (§ 525 iVm §§ 282 III 1, 296 III; BGH NJW-RR 06, 496 [BGH 21.12.2005 - III ZR 451/04]).
II. Fristversäumung.
Rn 8
Nach Ablauf der Frist vorgebrachte verzichtbare Rügen können nur dann berücksichtigt werden, wenn die Nichteinhaltung der Frist genügend entschuldigt wird (dazu § 530 Rn 11). Dies ist nicht der Fall, wenn die Partei an der Verspätung irgendeine Form des Verschuldens trifft, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit schadet (BGH NJW 85, 743, 744 [BGH 29.03.1984 - I ZR 230/81]). Der Entschuldigungsgrund ist nicht in jedem Fall, sondern nur auf besonders Verlangen des Gerichts hin glaubhaft zu machen (§§ 532 S 3, 294). Ob durch die Verspätung eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt, spielt keine Rolle, selbst eine durch die Berücksichtigung möglicherweise eintretende Verkürzung der Verfahrensdauer kann nicht zur Berücksichtigungsfähigkeit der Rüge führen (BGH NJW 85, 744 [OLG Karlsruhe 06.11.1984 - 13 W 155/84]; St/J/Grunsky § 529 aF Rz 3; Schneider NJW 03, 1435).
III. Alte Rügen.
Rn 9
Verzichtbare Zulässigkeitsrügen, die bereits in 1. Instanz erhoben waren, dauern in 2. Instanz nicht ohne weiteres fort, müssen zweitinstanzlich fristgerecht oder mit genügender Entschuldigung (Rn 7, 8) wiederholt werden (Rn 6). Eine solche Wiederholung einer alten Rüge muss nicht ausdrücklich erfolgen, es genügt der für das Gericht und den Gegner erkennbare Wille, an der Rüge festzuhalten. Für den erstinstanzlich mit seiner Rüge erfolgreichen Beklagten genügt hierzu bereits der Antrag auf Zurückweisung der Berufung (Musielak/Voit/Ball § 535 Rz 4).
Rn 10
Wurde eine alte Rüge erstinstanzlich berechtigt als verspätet zurückgewiesen (§ 296 III), bleibt sie in der Berufungsinstanz unberücksichtigt. Überprüft wird insoweit nur noch die Berechtigung der Zurückweisung (§ 531 Rn 6).
IV. Neue Rügen.
Rn 11
Auch eine erstinstanzlich noch nicht erhobene Zulässigkeitsrüge kann zweitinstanzlich erstmals nur fristgerecht oder mit genügender Entschuldigung (Rn 7, 8) geltend gemacht werden (Rn 6; BGH NJW-RR 93, 1021). Neu ist eine Rüge auch dann, wenn sie erstinstanzlich zunächst erhoben war, dann aber fallengelassen wurde und mit der Berufung wieder aufgegriffen wird (BGH NJW 90, 378 [BVerfG 13.06.1989 - 2 BvE 1/88]; Frankf MDR 92, 189 [BGH 25.04.1991 - I ZR 134/90]). Unabhängig von der rechtzeitigen Geltendmachung in 2. Instanz ist eine neue Rüge bereits dann präkludiert, wenn sie der Partei in 1. Instanz möglich gewesen wäre und ihre Geltendmachung erst mit der Berufung nicht genügend entschuldigt wird. Hierfür genügt es nicht, dass die Partei die Rüge erstinstanzlich für entbehrlich gehalten hat oder halten durfte, weil ein Sacherfolg zu erwarten war. § 537 steht einem prozesstaktisch motivierten ausdrücklichen oder stillschweigendem Vorbehalt der Rüge entgegen (Frankf NJW 69, 380, 381; Musielak/Voit/Ball § 535 Rz 7). Unverschuldet ist die Geltendmachung erst in 2. Instanz, wenn der Sachverhalt, auf den die Rüge gestützt wird, erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung 1. Instanz entstanden ist (BGH NJW 81, 2646), so zB in den Fällen der §§ 111, 112 III (MüKoZPO/Rimmelspacher § 535 Rz 12), wobei indes das Unzureichendwerden einer geleisteten Sicherheit durch die mit Einlegung der Berufung Kostenerhöhung nicht genügt (BGH NJW 70, 1791; 81, 2646 [BGH 01.04.1981 - VIII ZR 159/80]). Da § 1031 I die Erhebung der Schiedsvereinbarungsabrede bereits vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache vorschreibt, kommt diese als neue Rüge in 2. Instanz grds nicht in Betracht (MüKoZPO/Rimmelspacher § 535 Rz 11).
Rn 11a
Wird eine in der Berufungsinstanz mögliche und zumutbare Verfahrensrüge nicht erhoben, ist diese ggf auch als Revisionsgrund ausgeschlossen. Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st Rspr; BGHZ 219, 77). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren (BGH NJW 20, 1740 [BGH 28.01.2020 - VIII ZR 57/19]). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfas...