Rn 10
§ 533 macht die Zulässigkeit einer in 2. Instanz neu erfolgenden Klageänderung, zum einen von der Einwilligung des Gegners, ersatzweise einer Bejahung der Sachdienlichkeit durch das Gericht, zum anderen davon abhängig, dass zur Entscheidung darüber keine nicht für den bisherigen Prozessstoff ohnehin zu berücksichtigenden Tatsachen zugrunde gelegt werden müssen.
a) Einwilligung oder Sachdienlichkeit.
aa) Einwilligung.
Rn 11
Die Einwilligung entspricht der Voraussetzung für eine Klageänderung in 1. Instanz (§ 263). Eine Einwilligung kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden, die rügelose Einlassung auf den neuen Streitstoff kann dazu ausreichen (§ 267). Die Einwilligung ist bedingungsfeindlich und unwiderruflich. Ihre Verweigerung kann (insb in den Fällen der Parteierweiterung) rechtsmissbräuchlich sein, wenn eine prozessuale Beeinträchtigung und Schlechterstellung auszuschließen ist (BGH NJW-RR 08, 176 [BGH 26.07.2007 - VII ZR 5/06]; Kobl Urt v 27.2.13 – 5 U 76/13).
bb) Sachdienlichkeit.
Rn 12
Sachdienlich ist eine Änderung des Streitstoffs, wenn durch die Zulassung ein neues Verfahren vermieden werden kann und der prozessuale Aufwand bei Einbeziehung in das laufende Verfahren geringer ist, als bei Beginn eines neuen Verfahrens (BGH NJW 07, 2414, 2415 [BGH 27.09.2006 - VIII ZR 19/04]). Dies ist regelmäßig der Fall bei Entscheidungsreife der Klageerweiterung (BGH NJW 09, 2886 [BGH 11.05.2009 - II ZR 137/08]). Die Sachdienlichkeit fehlt, wenn mit dem neuen Streitgegenstand ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt wird, bei dessen Beurteilung das bisherige Prozessergebnis nicht verwertet werden kann (BGH NJW 12, 2662; IBR 11, 381 [BGH 30.03.2011 - IV ZR 137/08]; Brandbg Urt v 22.4.09 – 3 U 94/08), wenn der spruchreife Prozess durch die nicht spruchreife Erweiterung verzögert würde (BGH WM 76, 1278; Frankf 10.7.13 – 23 U 66/12) oder wenn der neue Streitgegenstand bereits in einem anderen Verfahren rechtshängig ist (BGH FamRZ 90, 975; LAG Hamm NZA-RR 12, 293). Dass aufgrund der Klageänderung neue Parteierklärungen und gegebenenfalls Beweiserhebungen notwendig werden und die Erledigung des Prozesses verzögert wird, hindert die Sachdienlichkeit nicht (BGH NJW 12, 2662 [BGH 04.07.2012 - VIII ZR 109/11]; NJW 11, 2796 [BGH 13.04.2011 - XII ZR 110/09]). Dass durch die Zulassung eine Instanz verloren geht, ist bei Beurteilung der Sachdienlichkeit einzubeziehen, steht dieser aber nicht grds entgegen, weil das Gesetz dies mit der grundsätzlichen Möglichkeit der Zulassung erkennbar in Kauf nimmt (BGH ZfIR 12, 251; NJW 92, 2296 [BGH 12.05.1992 - VI ZR 118/91]). Auch der Umstand, dass der neue Streitstoff bereits erstinstanzlich hätte eingeführt werden können, hindert die Sachdienlichkeit nicht (BGH NJW-RR 94, 1143 [BGH 13.04.1994 - XII ZR 168/92]); umgekehrt begründet der Vorbehalt einer Klageänderung in erster Instanz deren Sachdienlichkeit in zweiter Instanz alleine noch nicht (aA Kobl Urt v 12.6.12 – 2 U 56/11. Erweitern beide Parteien den Prozessstoff in der Berufungsinstanz, zwingt die Sachdienlichkeit der einen Erweiterung nicht zur Zulassung auch der gegnerischen Erweiterung (Kobl ZMR 10, 759).
cc) Gesetzlich zulässige Klageänderung.
Rn 13
Weder der Einwilligung noch der Sachdienlichkeit bedarf es in den Fällen der §§ 264–266 (Klagebeschränkung, Klageerweiterung, § 264 Nr 2; Anpassungen der Klage an nachträglich veränderte Umstände, §§ 264 Nr 3, 265 f). Die Privilegierung dieser Klageänderungen durch Zulassung ohne weitere Voraussetzungen ist durch § 533 nicht verdrängt, sie gilt auch in 2. Instanz. Klagebeschränkung, Klageerweiterung und Klageanpassung sind deswegen allein an § 533 Nr 2, 531 II zu messen (BGH NJW 17, 491; BauR 10, 494; MDR 06, 565; NJW-RR 05, 955; Ddorf Schaden-Praxis 13, 343). Hierunter fällt auch die einseitige Erledigungserklärung, mit der die Klage von einem Leistungs- auf einen Feststellungsantrag geändert wird (BGH MDR 16, 482 [BGH 11.12.2015 - V ZR 26/15]; Rostock NZI 16, 804 [BGH 09.08.2016 - I ZB 1/15]).
b) Tatsachengrundlage.
Rn 14
Die Klageänderung kann (auch in den Fällen der §§ 264–266) nur auf solche Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 529 ohnehin zugrunde zu legen hat. Danach besteht für die Berufungsinstanz grds eine Bindung an den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt. Der Vortrag neuer Tatsachen ist nur unter engen Voraussetzungen möglich (§§ 529 Nr 2, 531 II; BGH MDR 23, 253 [BGH 15.12.2022 - I ZR 135/21]; BGHR 07, 28; KG KGR 06, 504). Über eine Klageänderung kann dieses grundsätzliche Verbot des Vortrags neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht umgangen werden (keine ›Flucht in die Änderung des Streitgegenstands‹). Das gilt auch für die Begründung privilegierter Klageänderungen iSd § 264, die als solche ohne Rücksicht auf die Beschränkungen des § 533 zulässig sind (BGH MDR 23, 253; Kramer MDR 23, 333; aA noch BGH MDR 17, 14). Nicht neu sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erstinstanzlich zwar von einer Partei vorgetragen, vom Gericht aber für unerheblich gehalten wurden (§ 531 II; BGH NJW-RR 12, 429 [