Rn 1

In § 538 werden Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit von denen der materiellen Richtigkeitsgewähr des Urteils gegeneinander abgegrenzt. § 538 I verpflichtet das Berufungsgericht, grds in der Sache selbst zu entscheiden, auch wenn das erstinstanzliche Verfahren unvollständig oder fehlerhaft war und die Herbeiführung der Entscheidungsreife zusätzlichen, vom Erstgericht nicht geleisteten Prozessaufwands bedarf. Auch der Verlust einer Instanz für die Parteien rechtfertigt alleine die Zurückverweisung nicht. Dem Gesetzgeber steht es frei, zu regeln, unter welchen Voraussetzungen er eine weitere Instanz eröffnet. Mit § 538 I hat er deutlich gemacht, dass er den Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit über den der Rechtsmittelkontrolle stellt (BGH NJW 11, 769 [BGH 29.04.2010 - I ZR 39/08]). Eine Zurückverweisung kommt daher nur in den in § 538 II normierten Fallgruppen und grds nur dann in Betracht, wenn zumindest eine Partei dies beantragt. Nur bei Vorliegen dieser Ausnahmevoraussetzungen treten Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit in den Hintergrund, um die Parteien vor dem durch einen gerichtlichen Verfahrensfehler bedingten Verlust einer Instanz zu bewahren (für den Vorrang des Anspruchs auf eine 2. Instanz Baumert MDR 11, 893).

 

Rn 2

Die Vorschrift gilt in allen Berufungsverfahren, auch im WEG-Verfahren. In Beschwerdeverfahren kommt eine entsprechende Anwendung nur ausnahmsweise in Betracht (Köln ZMR 09, 627; Frankf FamRZ 96, 819). Auf das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren findet sie gem § 64 VI ArbGG grds entsprechende Anwendung. Ausgenommen ist § 539 II 1 Nr 1 (§ 68 ArbGG; BAG NJW 96, 3430), es sei denn, der Verfahrensmangel kann in der Berufungsinstanz nicht behoben werden. Ausgenommen ist auch § 539 II 1 Nr 5, weil die Vorschriften über den Urkunden- und Wechselprozess auf das arbeitsgerichtliche Verfahren keine Anwendung finden (§ 46 II 2 ArbGG).

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