Rn 42
Die Zurückverweisung ist auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 538 II nicht zwingend: Sie steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ein generalisierendes Abstellen darauf, dass Sachverhaltsklärung und Beweisaufnahme Aufgabe der 1. Instanz seien, ist nicht möglich (so aber München Urt v 30.4.10 – 10 U 3822/09). Maßgeblicher Gesichtspunkt der Ermessensausübung ist die Prozessökonomie (BGH VersR 11, 1392; MDR 11, 1251; MDR 07, 1677; 05, 645; NJW-RR 05, 928; 04, 1537, 1538; Rostock OLGR 09, 508; für eine Berücksichtigung der Überlastung des Berufungsgerichts München Urt v 30.4.10 – 10 U 3822/09). Dabei ist das Interesse der Parteien an der erneuten erstinstanzlichen Verhandlung des dort übergangenen Prozessstoffs abzuwägen gegen die mit der Zurückweisung verbundene Verlängerung und Verteuerung des Verfahrens. Je näher die Entscheidungsreife des Prozesses liegt, umso eher bietet sich eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts an (BGH NJW 00, 2024; Celle WM 16, 205; MüKoZPO/Rimmelspacher Rz 67), eine früher bereits erfolgte Zurückverweisung kann eine erneute ausschließen (BGH MDR 18, 759; NJW-RR 11, 1365 [BGH 05.07.2011 - II ZR 188/09]), zur Vermeidung einer überlangen Verfahrensdauer kann sie verfassungsrechtlich geboten sein (BGH NJW-RR 04, 1537 [BGH 08.07.2004 - VII ZR 231/03]). Demgegenüber legt ein übereinstimmender Zurückverweisungsantrag beider Parteien eine dementsprechende Ermessensausübung nahe (Zö/Gummer/Heßler Rz 7). Das Vorliegen der Zurückverweisungsvoraussetzungen und die Ermessensausübung müssen in den Gründen nachvollziehbar dargelegt werden, wobei eine bloß formelhafte Abhandlung nicht ausreicht (BGH NJW-RR 10, 1048; BGH NJW-RR 05, 928; schwächer: ›keine hohen Anforderungen‹ BGH VersR 11, 1392). Eine Zurückverweisung an einen bestimmten Spruchkörper, an eine andere Kammer des LG oder einen anderen Richter des AG, ist nicht möglich, da eine dem § 563 I 2 vergleichbare Regelung fehlt (LG Köln MDR 17, 236; aA Frankf FamRZ 81, 978, 980). Die Zuständigkeit beim erstinstanzlichen Gericht richtet sich allein nach dessen Geschäftsverteilung, sieht diese keine besondere Zuständigkeit für zurückverwiesene Sachen vor, so kommt die Sache erneut zum selben Richter. Dieser ist allein aufgrund der Vorbefassung weder ausgeschlossen (§ 41) noch befangen (§ 42).
Rn 43
Wird zurückverwiesen, so ist regelmäßig eine Aufhebung von angefochtenem Urt und Verfahren erforderlich (§ 538 II). Hat sich der Verfahrensfehler nur beschränkt ausgewirkt, kommt auch eine nur tw, sachlich oder zeitlich beschränkte Verfahrensaufhebung in Betracht. Möglich ist dies zB, wenn der Zurückverweisungsgrund lediglich bzgl eines Streitgegenstands, eines Streitgenossen oder eines Verfahrensabschnitts gegeben ist (BGH NJW 11, 2800; St/J/Grunsky § 539 aF Rz 17; Schumann/Kramer Rz 671). Betrifft der Zurückverweisungsgrund nur einen abtrennbaren Teil des Rechtsstreits oder ist nur hinsichtlich eines solchen Teils eine erneute oder weitere Verhandlung in der 1. Instanz erforderlich, ist die tw Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht an das erstinstanzliche Gericht nur dann zulässig, wenn über den zurückverwiesenen Teil des Rechtsstreits in zulässiger Weise auch durch Teilurteil gem § 301 hätte entschieden werden können (BGH NJW 11, 2800 [BGH 13.07.2011 - VIII ZR 342/09]; München NJW spezial 11, 43; § 301 Rn 4 ff). Fehlen die Voraussetzungen für ein Teilurteil, stellt die Teilzurückverweisung durch das Berufungsgericht einen in der Revisionsinstanz vAw zu berücksichtigen wesentlichen Verfahrensmangel dar (BGH NJW 11, 2736 [BGH 11.05.2011 - VIII ZR 42/10]). Die Entscheidung über den Umfang der Aufhebung bedarf besonderer Sorgfalt, weil hiervon die Frage abhängt, inwieweit das erste Verfahren seine Wirkungen behält oder nach der Zurückverweisung wiederholt werden muss (›Auf die Berufung des … wird die Sache unter Aufhebung des Urteils des …-gerichts … vom … und des Verfahrens, soweit beides die Widerklage betrifft, zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Widerklage an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen.‹). Ergibt sich der Umfang nicht schon aus dem Tenor des Berufungsurteils, ist eine Auslegung unter Heranziehung der Urteilsgründe erforderlich. Die Zurückverweisung muss nicht zwingend mit einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und/oder Verfahrens verbunden sein (Zö/Gummer/Heßler Rz 57). Wird ein Grundurteil (§ 538 II 1 Nr 4) oder ein Vorbehaltsurteil (§ 538 II 1 Nr 5) aufrechterhalten, so erfolgt die Zurückverweisung an die 1. Instanz lediglich zur Fortsetzung im Betrags- bzw im Nachverfahren. In diesem Fall bedarf es weder einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils noch einer Aufhebung des erstinstanzlichen Verfahrens. Vertreten wird auch, hier sei sogar eine Zurückverweisung entbehrlich (BGHZ 27, 15, 27); diese sollte indes zur Klarstellung und zur Abgrenzung von der möglichen Fortsetzung des Prozesses in der 2. Instanz in jedem Fall erfolgen (Schumann/Kramer Rz 669; zur Tenorieru...