Rn 15
Das Kriterium der Sicherung einer einheitlichen Rspr beschränkt sich jedoch nicht auf die Fälle der Divergenz. Auch Rechtsanwendungsfehler erfordern die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr, allerdings nur dann, wenn sie über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (BTDrs 14/4722, 104).
a) Korrektur im Interesse der Allgemeinheit.
Rn 16
Im maßgeblichen Interesse der Allgemeinheit liegt die Korrektur eines fehlerhaften Berufungsurteils, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rspr entstehen oder fortbestehen. Konkrete Anhaltspunkte können eine ständige Fehlerpraxis sein, die eine Wiederholung des Rechtsfehlers durch das Gericht besorgen lässt oder die die ernsthafte Gefahr einer Nachahmung durch andere Gerichte begründet (BGHZ 154, 288, 294). Konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr sind gegeben, wenn ein Gericht in ständiger Praxis von einer bestehenden, insb einer höchstrichterlichen Rspr abweicht (vgl nur BGHZ 154, 288, 294 f). Sie können auch dann zu bejahen sein, wenn von der vom Berufungsgericht gewählten rechtlichen Begründung eine falsche Signalwirkung ausgeht (MüKo/Krüger § 543 Rz 17). Eine strukturelle Wiederholungsgefahr wird in einem grundlegenden Missverständnis der höchstrichterlichen Rspr gesehen, die die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung darauf beruht. Ein grundlegendes Missverständnis des rechtlichen Ansatzpunktes der BGH-Rechtsprechung begründet, ebenso wie das Zugrundelegen eines unrichtigen Obersatzes (vgl dazu BGH NJW 04, 1960), eine strukturelle Wiederholungsgefahr und erfordert deswegen die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr (BGH NJW 05, 154 f [BGH 08.09.2004 - V ZR 260/03]).
b) Korrektur zur Aufrechterhaltung des Vertrauens der Allgemeinheit in eine funktionierende Rechtsprechung.
Rn 17
Ein maßgebliches Allgemeininteresse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts sieht der BGH auch dann, wenn das Berufungsurteil auf einem Rechtsfehler beruht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rspr zu beschädigen. Ein solcher schwerer, das Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionierende Rspr gefährdender Rechtsfehler wird zu Recht bejaht, wenn das Berufungsgericht bei der Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deshalb von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf. Beruht die anzufechtende Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art 3 I GG) oder auf einer Verletzung der Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers, insb der Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 I 2 GG), oder auf einem Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens (Art 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip; vgl MüKoZPO/Krüger § 543 Rz 23) oder einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG), ist die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr zuzulassen. Der Revision kommt auf diese Weise auch die Funktion zu, erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen (BGHZ 154, 288, 296 f). Soweit die Revision zuzulassen ist, weil sie zur Durchsetzung der Verfahrensgrundrechte geboten ist und deshalb eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden könnte, ist nicht zusätzlich erforderlich, dass der Verstoß gegen das Willkürverbot oder Verfahrensgrundrecht offenkundig ist (BGHZ 154, 288, 297; BGH NJW 04, 2222, 2223 mwN).
aa) Willkür.
Rn 18
Ein Beruhen der anzufechtenden Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot ist bei einer fehlerhaften Rechtsanwendung zu bejahen, die sachlich schlechthin unhaltbar ist, weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Die Feststellung von Willkür enthält keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist vielmehr im objektiven Sinne zu verstehen als eine Maßnahme, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (BGH NJW 05, 153 [BGH 07.10.2004 - V ZR 328/03] mN der Rspr des BVerfG). Willkür liegt zB vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Der Schluss, dass der Rechtsanwendungsfehler auf sachfremden Erwägungen beruht, kann sich auch aufdrängen, wenn die Entscheidung auf einem Verstoß gegen die Denkgesetze beruht (BGH NJW 09, 855 [BGH 14.10.2008 - VI ZB 23/08] Tz 10), eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder ihr Inhalt in krasser Weise missdeutet wird (MüKoZPO/Krüger § 543 Rz 22 mwN). Eine nur fragwürdige oder sogar fehlerhafte Rechtsanwendung, selbst ein offensichtlicher Rechtsfehler soll dagegen nicht genügen (BGH 28.2.08 – IX ZR 132/05 – juris).
bb) Rechtliches Gehör.
Rn 19
Art 103 I GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf,...