Rn 17
Ein maßgebliches Allgemeininteresse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts sieht der BGH auch dann, wenn das Berufungsurteil auf einem Rechtsfehler beruht, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rspr zu beschädigen. Ein solcher schwerer, das Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionierende Rspr gefährdender Rechtsfehler wird zu Recht bejaht, wenn das Berufungsgericht bei der Auslegung oder Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts gegen grundlegende, verfassungsrechtlich abgesicherte Gerechtigkeitsanforderungen verstoßen hat und die Entscheidung deshalb von Verfassungs wegen einer Korrektur bedarf. Beruht die anzufechtende Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot (Art 3 I GG) oder auf einer Verletzung der Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers, insb der Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 I 2 GG), oder auf einem Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens (Art 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip; vgl MüKoZPO/Krüger § 543 Rz 23) oder einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG), ist die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr zuzulassen. Der Revision kommt auf diese Weise auch die Funktion zu, erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen (BGHZ 154, 288, 296 f). Soweit die Revision zuzulassen ist, weil sie zur Durchsetzung der Verfahrensgrundrechte geboten ist und deshalb eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden könnte, ist nicht zusätzlich erforderlich, dass der Verstoß gegen das Willkürverbot oder Verfahrensgrundrecht offenkundig ist (BGHZ 154, 288, 297; BGH NJW 04, 2222, 2223 mwN).
aa) Willkür.
Rn 18
Ein Beruhen der anzufechtenden Entscheidung auf einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot ist bei einer fehlerhaften Rechtsanwendung zu bejahen, die sachlich schlechthin unhaltbar ist, weil sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar erscheint und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Die Feststellung von Willkür enthält keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist vielmehr im objektiven Sinne zu verstehen als eine Maßnahme, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (BGH NJW 05, 153 [BGH 07.10.2004 - V ZR 328/03] mN der Rspr des BVerfG). Willkür liegt zB vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Der Schluss, dass der Rechtsanwendungsfehler auf sachfremden Erwägungen beruht, kann sich auch aufdrängen, wenn die Entscheidung auf einem Verstoß gegen die Denkgesetze beruht (BGH NJW 09, 855 [BGH 14.10.2008 - VI ZB 23/08] Tz 10), eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder ihr Inhalt in krasser Weise missdeutet wird (MüKoZPO/Krüger § 543 Rz 22 mwN). Eine nur fragwürdige oder sogar fehlerhafte Rechtsanwendung, selbst ein offensichtlicher Rechtsfehler soll dagegen nicht genügen (BGH 28.2.08 – IX ZR 132/05 – juris).
bb) Rechtliches Gehör.
Rn 19
Art 103 I GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt sowie zur Rechtslage (BVerfG NJW 09, 1584 f [BVerfG 26.11.2008 - 1 BvR 670/08] mwN) zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG 1.8.17 – 2 BvR 3068/14 Tz 47 mwN). In den Gründen müssen die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsausführungen verarbeitet werden (BGH 22.7.21 – I ZR 180/20 Tz 11 – juris). Die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs, die eine Wiederholungsgefahr oder Symptomatik des Rechtsfehlers nicht erfordert, kann vorliegen, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Verpflichtung, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachgekommen ist. Dazu müssen besondere Umstände deutlich gemacht werden, aus denen sich ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG NJW-RR 02, 68, 69 [BVerfG 25.04.2001 - 1 BvR 2139/99]). Diese Voraussetzungen können auch dann erfüllt sein, wenn die Begründung der angefochtenen Entscheidung nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, nicht aber den Sinn des Parteivortrages erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH v 11.5.16 – VII ZR 64/15 Tz 24 – juris). Dies ist insb dann der Fall, wenn das Gericht auf einen wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (BVerfG NJW 98, 1583 f; BGH NJW-RR 05, 1306; NJW 09, 2139 [BGH 06.04.2009 - II ZR 117/08]), sofern der wesentliche Kern des Tatsachenvortrags nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder of...