1. Divergenz.
Rn 14
Von dem Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rspr (§ 543 II 1 Nr 2 Alt 2) werden Fälle der Divergenz erfasst, die dann gegeben ist, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höheren oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung idS liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diesen tragenden Rechtssatz nicht deckt (BGH NJW-RR 12, 124 Tz 13; BGHZ 154, 288, 292 f mwN; s.a. BVerfG 5.7.22 – 1 BvR 832/21 Rz 22 – juris). Nicht erforderlich ist, dass die Abweichung bewusst geschieht. Auch ein Rechtssatz, der in Unkenntnis entgegenstehender höchstrichterlicher Rspr aufgestellt wird, kann die Einheitlichkeit der Rspr gefährden (Musielak/Voit/Ball § 543 Rz 8). Dass der gleiche Sachverhalt von zwei Gerichten unterschiedlich beurteilt wird, begründet allerdings noch keine Divergenz idS. Hinzukommen muss, dass dieser Beurteilung unterschiedliche Rechtssätze zugrunde liegen (BGH NJW-RR 12, 124 [BGH 13.09.2011 - XI ZB 3/11] Tz 13; 07, 1676). War die abweichende Entscheidung der Rechtsfrage des einen Gerichts für die Entscheidung des anderen Gerichts nicht entscheidungserheblich, ist allerdings sogar die Annahme des Berufungsgerichts selbst, es bestehe eine Divergenz, nicht geeignet, diesen Zulassungsgrund zu ergeben (BGH 17.1.12 – XI ZR 254/10 Tz 11 – juris). In Patentsachen gilt die Besonderheit, dass das Nichtigkeits- und das Verletzungsverfahren letztinstanzlich vor dem BGH zu führen sind. Das mit der Patentauslegung erstrebte Erkenntnisziel verlangt, dass kein Unterschied gemacht wird, ob die Auslegung zur Beurteilung der Patentfähigkeit oder zur Prüfung vorgenommen wird, ob das Patent verletzt wird; die Entscheidung über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann im Patentverletzungsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Patentnichtigkeitsverfahren ausgesetzt werden (vgl dazu BGHZ 186, 90 Tz 13 f mwN – Crimpwerkzeug III). Der BGH hat es daher als zulässig erachtet, dass in einem Patentverletzungsverfahren, das nach Eingang der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ausgesetzt worden ist, die Nichtzulassungsbeschwerde nach Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachträglich auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rspr gestützt wurde, weil der BGH im Patentnichtigkeitsverfahren eine Auslegung des Klagepatents zugrunde gelegt hat, die in einem entscheidungserheblichen Punkt von derjenigen abweicht, die das OLG im Patentverletzungsverfahren zugrunde gelegt hat (BGH 30.8.10 – X ZR 193/03 – juris Crimpwerkzeug IV). Da derartige Verschiedenheiten in der Auslegung des Klagepatents stets möglich sind, müsste mE in allen Fällen, in denen beim BGH parallel zum Patentverletzungsstreit ein Patentnichtigkeitsverfahren anhängig ist, das Verfahren im Patentverletzungsstreit ausgesetzt werden, um im Ergebnis divergierende Entscheidungen, auch wenn diese nicht auf einer Divergenz im Rechtssinne beruhen, zu vermeiden.
2. Rechtsanwendungsfehler.
Rn 15
Das Kriterium der Sicherung einer einheitlichen Rspr beschränkt sich jedoch nicht auf die Fälle der Divergenz. Auch Rechtsanwendungsfehler erfordern die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr, allerdings nur dann, wenn sie über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (BTDrs 14/4722, 104).
a) Korrektur im Interesse der Allgemeinheit.
Rn 16
Im maßgeblichen Interesse der Allgemeinheit liegt die Korrektur eines fehlerhaften Berufungsurteils, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rspr entstehen oder fortbestehen. Konkrete Anhaltspunkte können eine ständige Fehlerpraxis sein, die eine Wiederholung des Rechtsfehlers durch das Gericht besorgen lässt oder die die ernsthafte Gefahr einer Nachahmung durch andere Gerichte begründet (BGHZ 154, 288, 294). Konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr sind gegeben, wenn ein Gericht in ständiger Praxis von einer bestehenden, insb einer höchstrichterlichen Rspr abweicht (vgl nur BGHZ 154, 288, 294 f). Sie können auch dann zu bejahen sein, wenn von der vom Berufungsgericht gewählten rechtlichen Begründung eine falsche Signalwirkung ausgeht (MüKo/Krüger § 543 Rz 17). Eine strukturelle Wiederholungsgefahr wird in einem grundlegenden Missverständnis der höchstrichterlichen Rspr gesehen, die die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung darauf beruht. Ein grundlegendes Missverständnis des rechtlichen Ansatzpunktes der BGH-Rechtsprechung begründet, ebenso wie das Zugrundelegen eines unrichtigen Obersatzes (vgl dazu BGH NJW 04, 1960), eine strukturelle Wiederholungsgefahr und erfordert deswegen die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr (BGH NJW 05, 154 f [BGH 08.09.2004 - V ZR 260/03]).
b) Korrektur zur Aufrechterhaltung des Vertrauens der Allgemeinheit in eine funktionierende Rechtsprechung.
Rn 17
Ein maßgebliches Allgemeininteresse a...