I. Auslegung.

1. Rechtsnormen.

 

Rn 3

Die Auslegung von Rechtsnormen ist zweifelsfrei und in jedem Fall Rechtsfrage. Die Auslegung des Gesetzes gehört zum Kernbereich der revisionsrechtlichen Überprüfung, und zwar auch dann, wenn ungeschriebenes Recht in Rede steht (vgl BGH NJW 65, 1862, 1864 [BGH 13.05.1965 - Ia ZB 27/64]; Musielak/Voit/Ball § 546 Rz 4). Erfahrungssätze und Denkgesetze sind keine revisiblen Rechtsnormen, werden jedoch als solche behandelt (MüKo/Krüger § 546 Rz 5 mwN).

2. Willenserklärungen/Individualvereinbarungen.

 

Rn 4

Die Auslegung individueller Erklärungen ist grds Sache des Tatrichters. Dessen Auslegung bindet das Revisionsgericht nur dann nicht, wenn sie gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze, allgemeine Verfahrenssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt (stRspr vgl nur BGH WM 09, 980 Tz 14; WM 09, 861 Tz 12 jew mwN). Ob eine Willenserklärung eindeutig ist, ist allerdings eine Rechtsfrage, die der revisionsrechtlichen Überprüfung in vollem Umfang zugänglich ist (BGH WM 09, 861 Tz 12 mwN). Desgleichen ist die Auslegung von Verträgen grds dem Tatrichter vorbehalten. Dessen Auslegung ist für das Revisionsgericht bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei vorgenommen worden ist und zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis führt, auch wenn ein anderes Auslegungsergebnis möglich erscheint oder sogar näher liegt. Die Auslegung durch den Tatrichter kann deshalb vom Revisionsgericht grds nur darauf überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf einem im Revisionsverfahren gerügten Verfahrensfehler beruht (vgl nur BGH NJW 03, 2235, 2236 [BGH 13.03.2003 - IX ZR 199/00]; NJW 98, 1144, 1145 [BGH 18.09.1997 - I ZR 71/95] – Modenschau im Salvatorkeller). Hat der Tatrichter die gebotene Auslegung rechtsfehlerhaft unterlassen, ist das Revisionsgericht an das vom Tatrichter gefundene Ergebnis nicht gebunden. Dies gilt auch, wenn der Tatrichter eine ergänzende Vertragsauslegung rechtsfehlerhaft nicht vorgenommen hat (Musielak/Voit/Ball § 546 Rz 5). Sind die dazu erforderlichen Feststellungen getroffen und weitere Feststellungen nicht zu erwarten, kann der BGH die Auslegung selbst nachholen (BGH WM 09, 1180 Tz 20; BGHZ 179, 186 Tz 14; BGHZ 124, 39, 45). Unbeschränkt nachprüfbar ist die Auslegung gesellschaftsvertraglicher Regelungen mit körperschaftsrechtlichem Charakter (BGHZ 116, 359, 364; Musielak/Voit/Ball § 546 Rz 5; MüKoZPO/Krüger § 546 Rz 8; vgl auch Zö/Heßler § 546 Rz 5). Dasselbe gilt für Verbandsrecht, das der Satzung nachgeordnet ist (BGH v 13.10.15 – II ZR 23/14 Tz 24 – juris). Des Weiteren unterliegt die Auslegung von Bestimmungen einer Teilungserklärung, die im Grundbuch eingetragen sind, sowie die Eintragungsbewilligung in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maßgebend sind dabei ihr Wortlaut und ihr Sinn, wie sie sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutungen der Eintragung ergeben, weil sie auch Sonderrechtsnachfolger der Wohnungseigentümer binden (BGH v 4.12.15 – V ZR 22/15 Tz 38 – juris; BGH 22.11.13 – V ZR 46/13s Tz 11 – juris; BGH NJW 12, 1722 [BGH 02.03.2012 - V ZR 174/11] Tz 7).

3. Allgemeine Geschäftsbedingungen.

 

Rn 5

Die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist unbeschränkt nachprüfbar, soweit Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Formularverträgen oder vorformulierten Bedingungen zum Abschluss von Gesellschaftsverträgen im Geschäftsverkehr üblich sind (zum Wegfall der Beschränkung durch das Erfordernis ›über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus‹ vgl § 545 Rn 4, 5). Da bei derartigen Regelwerken ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht und insb AGB nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen sind, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden, es mithin nicht auf die individuelle Interessenlage im Einzelfall ankommt, sondern auf die typisierten Interessen des Verwenders und seiner Vertragspartner, unterliegen solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen uneingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle (vgl nur BGH NJW-RR 08, 251 [BGH 12.10.2007 - V ZR 283/06] Tz 7/8; vgl auch BGH 21.8.08 – X ZR 80/07 Tz 8 – juris). Ausländische allgemeine Geschäftsbedingungen sind dagegen wie ausländisches Recht zu behandeln; ihre Auslegung ist nach §§ 545 I, 560 der Nachprüfung durch die Revisionsinstanz entzogen (vgl § 545 Rn 6, § 560 Rn 2 ff; vgl auch Musielak/Voit/Ball § 546 Rz 6; MüKoZPO/Krüger § 546 Rz 8; Zö/Heßler § 546 Rz 5).

4. Prozessual bedeutsame Willenserklärungen.

 

Rn 6

Diese prüft das Revisionsgericht uneingeschränkt auf ihre Auslegung nach und hat sie – soweit deren prozessuale Bedeutung in Rede steht – frei zu würdigen (BGH NJW 98, 3350, 3352; vgl BGHZ 140, 156, 157 zur Wertung eines Parteivorbringens als Geständnis; vgl auch Musielak/Voit/Ball § 546 Rz 7; MüKoZPO/Krüger § 546 Rz 11; Zö/Heßler § 546 Rz 11). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Partei mit ihr...

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