1. Fehlende und verspätete Begründung.
Rn 13
Enthält das Berufungsgericht keine Begründung, ist ein evidenter Fall des § 547 Nr 6 gegeben. Eine Entscheidung ohne Gründe iSv § 547 Nr 6 liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn das Berufungsurteil überhaupt keine Begründung enthält. Es entspricht vielmehr einem mittlerweile für alle Prozessarten anerkannten Grundsatz, dass ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urt ›nicht mit Gründen‹ versehen ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Tragender Gesichtspunkt hierfür ist, dass in Folge des abnehmenden richterlichen Erinnerungsvermögens nach mehr als 5 Monaten nicht mehr gewährleistet ist, dass der Eindruck von der mündlichen Verhandlung und das auf dieser Grundlage Beratene noch absolut zuverlässigen Niederschlag in den viel später abgefassten Gründen der Entscheidung findet (GmS-OGB NJW 93, 2603 [GmSOGB 27.04.1993 - GmS-OGB 1/92]; BGH GRUR 11, 56 [BGH 29.04.2010 - I ZR 39/08] Tz 14 – Session-ID; BGH NJW-RR 09, 1712 [BGH 09.07.2009 - IX ZR 197/08] Tz 8; BGH NJW-RR 05, 1151, 1152 [BGH 22.11.2004 - NotZ 23/04]). Können die Unterschriften der mitwirkenden Richter nicht mehr rechtswirksam nachgeholt werden, weil seit der Urteilsverkündung die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten verstrichen ist, begründet das Fehlen der Unterschriften den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr 6 (BGH NJW-RR 07, 141 [BGH 16.10.2006 - II ZR 101/05] Tz 9).
2. Fehlen von inhaltlichen Mindestanforderungen.
Rn 14
§ 547 Nr 6 erfasst auch solche Fälle, in denen zwar Entscheidungsgründe vorhanden sind, diese aber inhaltlichen Mindestanforderungen nicht genügen, wie bspw das Übergehen geltend gemachter Ansprüche oder zentraler Angriffs- und Verteidigungsmittel (BGH NJW-RR 93, 706; NJW 89, 773 [BGH 24.05.1988 - VI ZR 159/87]; BAG NJW 07, 1772 [BAG 20.12.2006 - 5 AZB 35/06] Tz 5; Musielak/Voit/Ball § 547 Rz 15; Zö/Feskorn § 547 Rz 13; MüKoZPO/Krüger § 547 Rz 16) oder in denen die Wiedergabe maßgeblichen Sachverhalts, über den entschieden wird, fehlt, der Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen nicht erkennbar sind (BGH NJW-RR 10, 1582 Tz 5; vgl auch BGH v 12.6.15 – V ZR 168/14 Tz 29 mwN – juris). Ist das Urteil in dem betreffenden Punkt zwar knapp, lässt es aber die Auffassung des Berufungsgerichts genügend deutlich erkennen, liegt ein Mangel iSd § 547 Nr 6 nicht vor (BGH 12.7.23 – VIII ZR 60/22 Tz 19 – juris).
3. Unvollständige oder gänzlich unverständliche Ausführungen.
Rn 15
Eine Entscheidung ist auch dann ›nicht mit Gründen versehen‹, wenn aus ihr nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Der fehlenden Begründung ist es daher gleichzusetzen, wenn die vorhandenen Gründe so unverständlich und verworren sind, dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lassen, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgeblich waren (BGH GRUR-RR 08, 458 Tz 14 – Durchflusszähler; GRUR 06, 929 Tz 10 – Rohrleitungsprüfverfahren; GRUR 89, 427 – Superplanar; GRUR 94, 215, 216 [BGH 11.11.1993 - I ZB 18/91] – Boy, zu den insoweit gleichlautenden Vorschriften der §§ 100 PatG und 83 III Nr 6 MarkenG). Dem Erfordernis der Erkennbarkeit der maßgeblichen Erwägungen ist auch dann nicht genügt, wenn die Gründe sachlich inhaltslos sind und sich auf leere Redensarten oder auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken (BGH GRUR-RR 08, 458 Tz 14 – Durchflusszähler; GRUR 06, 929 [BGH 12.07.2006 - X ZB 33/05] Tz 10 – Rohrleitungsprüfverfahren jmwN; BAG 18.12.08 – 3 AZR 417/07 Tz 16 – juris; Musielak/Voit/Ball § 547 Rz 16).
4. Bezugnahme.
Rn 16
Soweit sich die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils iRd § 540 hält, kann dies als Begründung des Berufungsurteils iSv § 547 Nr 6 genügen. Dies gilt nicht, soweit in 2. Instanz neue Ansprüche erhoben oder neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorgebracht worden sind, auf die das erstinstanzliche Urt nicht eingegangen sein kann und insb nicht für die Berufungsanträge (BGHZ 154, 99, 100; Musielak/Voit/Ball § 547 Rz 17; vgl auch § 543 Rn 20). Die Bezugnahme auf eine gleichzeitig ergehende oder eine frühere, den Parteien bekannte andere Entscheidung kann zur Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichts ausreichen, sofern die Entscheidung in einem Verfahren ergangen ist, an dem beide Parteien beteiligt sind oder waren (Musielak/Voit/Ball § 547 Rz 17; MüKoZPO/Krüger § 547 Rz 19; St/J/Jacobs § 547 Rz 32). Die Bezugnahme auf eine nicht zwischen denselben Parteien ergangene Entscheidung ist zulässig, sofern diese Gegenstand der mündlichen Verhandlung war (BGH 29.9.22 – I ZB 15/22 Rz 11 – juris mwN).
5. Rügeerfordernis.
Rn 17
Vgl § 547 Rn 1.