Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
(1) Das Gericht hat den Mangel der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit, der Legitimation eines gesetzlichen Vertreters und der erforderlichen Ermächtigung zur Prozessführung von Amts wegen zu berücksichtigen.
(2) 1Die Partei oder deren gesetzlicher Vertreter kann zur Prozessführung mit Vorbehalt der Beseitigung des Mangels zugelassen werden, wenn mit dem Verzug Gefahr für die Partei verbunden ist. 2Das Endurteil darf erst erlassen werden, nachdem die für die Beseitigung des Mangels zu bestimmende Frist abgelaufen ist.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Abs 1 benennt die auf die Partei bezogenen Sachurteilsvoraussetzungen der Parteifähigkeit (und damit stillschweigend auch ihrer Existenz), der Prozessfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung und – wenn auch verklausuliert unter dem Begriff der Ermächtigung zur Prozessführung – der Prozessführungsbefugnis. Für sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen – nicht nur die genannten, sondern jeglicher Art, die Beteiligtenfähigkeit in einem markenrechtlichen Registerverfahren (BGH GRUR-RS 23, 27654 Rz 10) und selbst für materiell-rechtliche Ausschlussfristen, wie etwa bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage (BGH DWW 23, 298 Rz. 13) begründet Abs 1 den Grundsatz der Amtsprüfung (BGH RR 16, 557 Rz 16; DWW 23, 298 Rz. 13). Abs 2 gestattet es, die Partei bzw ihren Vertreter einstweilen zur Prozessführung zuzulassen, falls der Mangel einer Prozessvoraussetzung behebbar ist.
B. Prüfung von Amts wegen.
I. Inhalt der Prüfungspflicht.
Rn 2
Die in Abs 1 angeordnete Prüfung vAw (BGH NJW-RR 22, 1430 [BGH 21.04.2022 - I ZB 36/21] Rz 7; NJW 22, 3003 [BGH 02.06.2022 - I ZR 135/18] Rz 5) bedeutet keine Amtsermittlung iSd Untersuchungsgrundsatzes. Das Gericht hat erst in eine Prüfung einzutreten, wenn hinreichende Anhaltspunkte wie etwa der Inhalt beleidigender, völlig abseitiger Schriftsätze (Kobl RR 12, 891, 893) Zweifel an dem Vorliegen einer Prozessvoraussetzung (etwa Rechts- und Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit (BVerfG NZA 21, 891 Rz 11) nahelegen (BGHZ 159, 94, 98 f = NJW 04, 2523 f; BGH WM 10, 2380 Rz 14; NJW 69, 1574; BAG NJW 58, 1699; 15, 269 Rz 13). Insoweit kommt dem Gericht ein weiter Beurteilungsspielraum zu (BGH WM 14, 1054 Rz 10). Entsprechendes gilt für die Frage, ob eine Partei überhaupt existiert (BGH WM 10, 2380 Rz 14, 16). Kommen bei dem Gericht wegen einer Sachurteilsvoraussetzung Bedenken auf, hat es die Partei nach § 139 III darauf hinzuweisen und – iRe Fristbestimmung oder Vertagung – Gelegenheit zu entsprechendem Sachvortrag zu geben (BGH BGHR 06, 991). Ferner kann der Partei die Vorlage bestimmter Nachweise aufgegeben werden. Zweifeln wegen einer Sachurteilsvoraussetzung hat das Gericht unabhängig von der Rüge einer Partei nachzugehen. Ein Mangel kann weder durch rügelose Einlassung (§ 295 II) noch Anerkenntnis oder Verzicht ausgeräumt werden (BGHZ 159, 94, 98; MüKoZPO/Lindacher Rz 2). Ebensowenig ist ein Geständnis bzgl der eine Sachurteilvoraussetzung betreffenden Tatsachen für das Gericht bindend (BAG NJW 58, 1699 f). Zulässigkeitsrügen einer Partei dürfen nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden (BGHZ 159, 94, 98 f = NJW 04, 2523 f); sie können daher auch noch in der Berufungsinstanz (erstmals) geltend gemacht werden (Kobl RR 08, 1384). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung (BGH NJW 96, 1059 f). Eine Sachentscheidung ist dem Gericht nur gestattet, wenn sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen eingreifen. Welche Reihenfolge bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen gilt, ist umstr. Zum Schutz nicht geschäftsfähiger Personen erscheint ein Prüfungsvorrang hinsichtlich der Prozessfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung angezeigt.
II. Beweisverfahren.
Rn 3
Über die Sachurteilsvoraussetzungen ist ohne Bindung an das förmliche Beweisverfahren im Wege des Freibeweises zu befinden (BGHZ 143, 122, 124 = NJW 00, 289 f; BGH RR 11, 284 Rz 4; BGH WM 10, 2380 Rz 16; NJW 96, 1059 f; BAG 15, 269 Rz 13). Das Gericht muss sämtliche zur Verfügung stehenden Beweismittel ausschöpfen (BVerfG NZA 21, 891 [BVerfG 19.04.2021 - 1 BvR 2552/18] Rz 11). Ein Beweisbeschluss ist entbehrlich (BGH NJW 51, 441), das Gericht bei der Auswahl und Verwertung der Beweise frei (BGH NJW 92, 627 f; 90, 1734, 1736). Es kann eidesstattliche Versicherungen verwerten (BGH NJW 92, 627 f [BGH 16.05.1991 - IX ZB 81/90]) wie auch auf ärztliche Gutachten, selbst wenn Zweifel an der Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht (§ 383 III) bestehen, zugreifen (BGH NJW 90, 1734 f) und amtliche Auskünfte einholen. In einem anderen Verfahren gewonnene Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten sind urkundenbeweislich verwertbar (BGHZ 143, 122, 124 = NJW 00, 289 f). Fehlen derartige Erkenntnismittel, ist über die Prozessfähigkeit der Partei, ohne dass ein Kostenvorschuss angefordert werden darf (München OLGR 02, 75), ein Sachverständigengutachten einzuholen (BGH BGHR 01, 714; NJW 96, 1059 f; BAG MDR 00, 781), wenn es keine anderen erschließbaren Erkenntnisquellen gibt (BGH WM 14, 1054 Rz 10). Die Prozessunfähigkeit einer Partei kann nur nach deren persönlicher Anhörung befü...