Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
(1) Soll eine nicht prozessfähige Partei verklagt werden, die ohne gesetzlichen Vertreter ist, so hat ihr der Vorsitzende des Prozessgerichts, falls mit dem Verzug Gefahr verbunden ist, auf Antrag bis zu dem Eintritt des gesetzlichen Vertreters einen besonderen Vertreter zu bestellen.
(2) Der Vorsitzende kann einen solchen Vertreter auch bestellen, wenn in den Fällen des § 20 eine nicht prozessfähige Person bei dem Gericht ihres Aufenthaltsortes verklagt werden soll.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Grds ist es Sache des künftigen Kl, den gesetzlichen Vertreter des voraussichtlichen Bekl zu ermitteln. Hat der Bekl keinen gesetzlichen Vertreter, so obliegt es dem Kl, die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters (vgl §§ 1961, 29 BGB, 85 AktG) hinzuwirken (BGH NJW 11, 1739 Rz 11). Verzögert sich die Vertreterbestellung, kann dies einen erheblichen Schaden für den präsumtiven Kl bedeuten. Zur Abwendung dieser Gefahr ermöglicht Abs 1 die vorübergehende Bestellung eines besonderen Vertreters (Prozesspfleger), um den gebotenen effektiven Rechtsschutz nicht an der Vertretungslosigkeit des Bekl scheitern zu lassen (BGHZ 93, 1, 9 = NJW 85, 433; BGH NJW 11, 1739 Rz 11). § 57 gilt für natürliche wie auch – handlungsfähiger Organe entbehrende – juristische Personen (BFH DB 80, 2068; BGH NJW 18, 1169) und ist außerdem im FamFG-Verfahren (BGH FamRZ 89, 271; Rostock NJW-RR 09, 415), aber nicht dem Zwangsvollstreckungsverfahren (KG OLGZ 68, 428, 430; Zö/Vollkommer Rz 1; Musielak/Voit/Weth Rz 1; aA MüKoZPO/Lindacher Rz 5; St/J/Bork Rz 1a) einschlägig. Schon sein Wortlaut schließt eine Anwendung des § 57 auf den Kl aus. Zudem ist die Regelung nicht auf Ersatzzustellungsvertreter anwendbar (BGH NJW 17, 2766 [BGH 11.05.2017 - V ZB 52/15] Rz 13). Ein im Verfahren auf Bestellung eines Prozessvertreters ergangener Verweisungsbeschluss entfaltet keine bindende Wirkung für das sich anschließende Hauptverfahren (BAG NJW 22, 1189 [BAG 08.02.2022 - 9 AZB 40/21] Rz 12).
B. Voraussetzungen des Abs 1.
Rn 2
Abs 1 gestattet die Vertreterbestellung, wenn der Bekl entweder prozessunfähig ist oder begründete Zweifel an seiner Prozessfähigkeit bestehen (BGH NJW 62, 1510 [BGH 09.05.1962 - IV ZR 4/62]). Die Vorschrift stellt auf eine bereits vor Rechtshängigkeit gegebene Prozessunfähigkeit ab, ist aber entsprechend anwendbar, wenn die vor Rechtshängigkeit bestehende Prozessunfähigkeit erst im Laufe des Rechtsstreits offenbar wird (BGH NJW 51, 441). Verwirklicht sich die Prozessunfähigkeit dagegen erst nach Rechtshängigkeit, ist § 57 seinem Wortlaut nach nicht einschlägig, weil das Verfahren unterbrochen wird (§§ 239, 241, 246). In dieser Situation wird wegen der vergleichbaren Interessenlage zu Recht eine auf § 57 gestützte Vertreterbestellung befürwortet (BAG NJW 09, 3051 Rz 12; 08, 603, 604; Dresd ZIP 05, 1845; Stuttg MDR 96, 198; St/J/Bork Rz 2; aA Musielak/Voit/Weth Rz 2). Die Vorschrift ist auch anwendbar, wenn das Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Betreuers ablehnt, die Partei aber nach Auffassung des Prozessgerichts nicht prozessfähig ist (BAG NJW 09, 3051 [BAG 28.05.2009 - 6 AZN 17/09] Rz 12). Der Prozessunfähigkeit der natürlichen steht der Mangel organschaftlicher Vertretung der juristischen Person gleich, wobei die Bestellung eines Notorgans nach § 29 BGB die Pflegerbestellung nicht ausschließt. Ein Bedürfnis für eine Vertreterbestellung besteht als zweite Voraussetzung nur, falls ein gesetzlicher Vertreter gänzlich fehlt oder der berufene Vertreter im Einzelfall rechtlich (nicht bloß tatsächlich: MüKoZPO/Lindacher Rz 6) verhindert ist (BGH RR 11, 115 Rz 19). Die Vertreterbestellung knüpft an die Absicht, eine Klage, einen Mahnbescheid oder ein Gesuch auf einstweiligen Rechtsschutz einzureichen. Als vierte Voraussetzung wird Gefahr im Verzuge gefordert: Sie liegt vor, sofern der Aufschub der Klage bis zur Bestellung des Vertreters die Rechtsdurchsetzung für den Kl erheblich gefährden oder gar vereiteln würde. Sind die eine Vertreterbestellung verzögernden Gründe von dem Kl, der etwa die Benennung eines Abwicklers (§§ 264 II AktG, 66 V GmbHG) verweigert, zu verantworten, scheidet Gefahr im Verzuge aus (Wieczorek/Schütze/Hausmann Rz 12). Die Bestellung des Prozesspflegers kann der Kl durch einen nicht dem Anwaltszwang unterliegenden Antrag erwirken, wobei die geltend gemachten Tatsachen glaubhaft zu machen sind. Die Bestellung eines Prozesspflegers ist gegenüber der Bestellung eines Nachtragsliquidators nicht subsidiär (Frankf RR 12, 510). Die Vorschrift ist im Zwangsvollstreckungsverfahren grds entspr anwendbar, wenn sich die Zwangsvollstreckung gegen einen prozessunfähigen Schuldner richtet (BGH WM 21, 346 Rz 14).
C. Voraussetzungen des Abs 2.
Rn 3
Ist die Klage am Gericht ihres Aufenthaltsortes gegen eine prozessunfähige Person beabsichtigt, hängt die Vertreterbestellung nicht von einer Gefahr im Verzuge ab (Musielak/Voit/Weth Rz 3; aA MüKoZPO/Lindacher Rz 10; Zö/Vollkommer Rz 6). Abs 2 erlaubt die Bestellung eines Prozesspflegers auch, wenn ein gesetzlicher Vertreter vorhanden ist, sich aber nicht am Ort des § 20 bef...