Rn 11
Der Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rspr soll vermeiden, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rspr entstehen oder fortbestehen, wobei es nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rspr im Ganzen hat. Die Rechtsbeschwerde ist danach nicht schon dann zulässig, wenn ein Gericht in einem Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen hat, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist, wohl aber, wenn es von der höchstrichterlichen Rspr ›abweicht‹, diese also nicht berücksichtigt, und die Gefahr einer Wiederholung besteht. Fehler bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts sind ferner dann zulässigkeitsrelevant, wenn sie über den Einzelfall hinaus allgemeine Interessen nachhaltig berühren, weil sie von erheblichem Gewicht und damit geeignet sind, das Vertrauen in die Rspr zu beschädigen. Das ist insb bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Grundrecht auf rechtliches Gehör, Art 103 I GG, und auf ein objektiv willkürfreies Verfahren, Art 3 I GG, der Fall (BTDrs 14/4722, 104; vgl auch BGHZ 151, 221, 225 f = NJW 02, 3029 ff; BGH WM 22, 1684 Rz 28 f). Ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr 1–4 begründet nach BGHZ 172, 250 = NJW 07, 2702 die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. Gleiches gilt für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde (BGH WM 17, 925 Rz 4). Lässt der angefochtene Beschl den Sachverhalt, über den entschieden worden ist, nicht erkennen, ist die Rechtsbeschwerde allein deshalb zulässig und begründet (BGH NJW-RR 10, 1582; NJW 11, 3450 [BGH 09.06.2011 - V ZB 230/10] Rz 9; MDR 16, 292 [BGH 13.01.2016 - XII ZB 605/14] Rz 6; NJW-RR 23, 1484 [BGH 12.09.2023 - VI ZB 72/22] Rz 4; s.u. § 577 Rn 7).
a) Divergenz.
Rn 12
Eine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründende Divergenz ist dann gegeben, wenn, die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts (nicht: eines nachrangigen Gerichts; vgl BGH 8.6.10, IX ZB 162/09, Rz 2), also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Vergleichsentscheidung tragenden Rechtssatz abweicht (BGHZ 151, 42, 45 = NJW 02, 2474; BGHZ 151, 221, 226 = NJW 02, 3029, 3030; BGH FamRZ 10, 964 Rz 15; NJW-RR 12, 126 Rz 12; WuM 22, 53 Rz 13). Divergenzfähige Gerichte sind der EuGH, das BVerfG, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der BGH, die anderen obersten Bundesgerichte, die Berufungsgerichte einschließlich anderer Spruchkörper desselben Gerichts und die Finanzgerichte, nicht aber ausländische Gerichte (BGH WM 2016, 2272 Rz 24). Die Abweichung muss sich auf eine Rechtsfrage (einen Obersatz) beziehen, nicht auf die Subsumtion unter den anzuwendenden Rechtssatz. Der unrichtige Obersatz braucht als solcher nicht ausformuliert worden zu sein (BGH NJW 04, 1960, 1961). Ein einfacher Rechtsanwendungsfehler eröffnet die Rechtsbeschwerde dagegen nicht (BGHZ 154, 188 ff = BGH NJW 03, 1943, 1945). Rügt die Rechtsbeschwerde, der angefochtene Beschl habe die allg bezeichnete Rspr des BGH grdl missverstanden, ist der Zulassungsgrund nur dann hinreichend ausgeführt, wenn durch einen Vergleich der entscheidungstragenden Obersätze eine Rechtssatzabweichung dargelegt wird (BGH NJW 11, 2443 [BGH 23.03.2011 - IX ZR 212/08] Rz 3 ff). Auch Beweislastregeln sind ›Rechtssätze‹ idS; denn sie sind bindend und im Revisionsverfahren vAw zu prüfen (BGH NJW 03, 754, 755 [BGH 31.10.2002 - V ZR 100/02]).
b) Verletzung von Verfahrensgrundrechten.
Rn 13
Verfahrensgrundrechte, deren Verletzung die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde begründen, sind insb das Grundrecht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG) und das Grundrecht auf ein objektiv willkürfreies Verfahren (Art 3 I GG; vgl BGHZ 154, 288, 295 ff = NJW 03, 1943, 1945), aber auch das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, welches den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfG WM 13, 15 f; BGH NJW 09, 1610 Rz 5; ZIP 10, 148, 149 Rz 3; NJW-RR 10, 1096 Rz 4; NJW-RR 11, 488 Rz 5; VersR 11, 816 Rz 4; NJW-RR 12, 82 Rz 8; VersR 12, 1009 Rz 6; NJW-RR 12, 1206 Rz 5; NJW 12, 2443 Rz 4; NJW-RR 13, 1034 Rz 5; FamRZ 13, 1385 Rz 8; NJW 14, 1879; NJW 15, 787 Rz 7; NJW-RR 17, 1145 Rz 5; BGH 5.10.21, VIII ZB 68/20, Rz 16; NJW 22, 1820 Rz 6; FamRZ 23, 1733 Rz 5). Die Rechtsbeschwerde dient so auch dazu, eine Verfassungsbeschwerde entbehrlich zu machen. Auf die Schwere oder Evidenz des Fehlers kommt es grds nicht an. Allerdings kann eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zum Recht auch in einem Fehler bei der Bemessung der Beschwer liegen, die gem §§ 2, 3 im Ermessen des Gerichts steht; nur ein Ermessensfehlgebrauch führt dann zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (BGH NJW 15, 787 [BGH 13.01.2015 - VI ZB 29/14] Rz 7; MDR 15, 1172 [BGH 09.07.2015 - V ZB 198/...