Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
Rn 3
Endurteile (§ 300) sind diejenigen Urteile, die für die Instanz endgültig über den Streitgegenstand entscheiden. Darunter fallen auch Teilurteile, Versäumnisurteile, Anerkenntnisurteile, Prozessurteile sowie Urteile im einstweiligen Rechtsschutz. Ob es sich um ein Leistungs-, Feststellungs- oder Gestaltungsurteil handelt, spielt keine Rolle. Entsprechend sind auch Scheidungsurteile (nunmehr Beschl, § 38 FamFG, s noch Rn 4) grds wiederaufnahmefähig. Das Urt muss in formelle Rechtskraft erwachsen sein, was entweder erfordert, dass Rechtsmittelfristen abgelaufen sind, oder, dass ein Rechtsmittel von vornherein nicht statthaft ist. Im Prozess behauptete Verfahrensmängel sind auch dort geltend zu machen, was etwa dazu führen kann, dass tatsächliches Vorbringen zu Restitutionsgründen auch in der Revision zu berücksichtigen ist (§ 582 Rn 3, § 580 Rn 19). Kann aber ein Wiederaufnahmegrund in der Revisionsinstanz nicht mehr geltend gemacht werden (s § 580 Rn 19 für die erschwerten Voraussetzungen der Einführung einer neuen Urkunde iSd § 580 Nr 7b), so bleibt der Partei nur die Erhebung der Wiederaufnahmeklage, damit die neuen Tatsachen Berücksichtigung finden können (BGH NJW 20, 3451 [BGH 17.09.2020 - III ZR 283/18] Rz 29). Um das Verfahren nicht unnötig zu verzögern, muss die Wiederaufnahmeklage in diesem Fall entgegen § 578 Abs 1 auch dann möglich sein, wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, sei es, weil die Revisionsfrist noch läuft oder bereits Revision eingelegt ist (Frankf BeckRS 22, 4916; MüKoZPO/Braun/Heiß § 578 Rz 47).
Rn 4
Ebenfalls statthaft ist die Wiederaufnahme bei rechtskräftigen Vollstreckungsbescheiden (§ 584 II). Zugelassen wurde sie in analoger Anwendung bei unanfechtbaren Beschlüssen, die das Verfahren beenden, wie etwa dem Beschluss mit dem eine Nichtzulassungsbeschwerde verworfen wird (BGH NJW 84, 2364; NJW 95, 332; ZIP 06, 1316; WRP 10, 1265, 1266; Schneider MDR 87, 287; Schilken ZPR Rz 1050 [7. Aufl]; vgl zuletzt BVerwG v 12.5.16 – 1 A 4/16 Rz 3; BAG v 13.10.15 – 3 AZN 915/15 [F] – nv; BSG v 23.4.14 – B 14 AS 368/13 B – nv; VGH München v 26.3.19 – 10 ZB 19.129). Dies gilt auch für rechtskräftige Beschlüsse im Insolvenzverfahren (BGH WM 07, 229; NJW-RR 06, 912) und im Zwangsvollstreckungsverfahren (Hamm OLGZ 84, 454), auch bei rechtskräftigen Zuschlagbeschlüssen, wenn es sich bei dem Wiederaufnahmegrund um einen Zuschlagsversagungsgrund handelt (BGH MDR 20, 1015, aA Ertle ZfIR 20, 635 [BGH 05.03.2020 - V ZB 20/19]; für eine direkte Anwendung Stamm LMK 20, 432973). Auch auf Beschlüsse nach § 1062 Abs 1 Nr 4 (Aufhebung eines Schiedsspruchs, dessen Vollstreckbarerklärung oder deren Aufhebung) finden die §§ 578 ff allerdings entspr Anwendung (Frankf v 1.7.21 – 26 Sch 8/21; Wieczorek/Schütze/Büscher § 578 Rz 26). Nicht jeder unanfechtbare Beschluss ist freilich der Wiederaufnahme zugänglich. Er muss vielmehr auf einer Sachprüfung beruhen und das Verfahren konstitutiv beenden. Deshalb kommt ein Wiederaufnahmeverfahren gegen Kostenbeschlüsse nach übereinstimmender Erledigungserklärung (FG Berlin-Brandenburg EFG 17, 418; VGH München BeckRS 18, 37513) oder nach Klagerücknahme (OVG NRW v 29.8.16 – 4 A 1250/16) nicht in Betracht. Dasselbe gilt für Beschlüsse, mit denen ein Antrag auf Eilrechtsschutz (vgl LSG Berlin-Brandenburg v 22.4.16 – L 9 KR 150/16 B ER RG), ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (FG München v 18.8.16 – 10 K 1868/16) oder ein Richterablehnungsgesuch (Bay LSG v 28.7.17 – L 1 SV 4/17 B) abgelehnt wird, da sie keine Innenbindung entfalten und ein derartiger Antrag jederzeit wieder gestellt werden kann. Beim Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verweist § 48 II FamFG für die Wiederaufnahme auf die entsprechende Anwendung der §§ 578–591. Das gilt wg § 118 FamFG auch für Ehesachen und Familienstreitsachen. Das Wiederaufnahmeverfahren wird durch das familienrechtliche Abänderungsverfahren nicht verdrängt; beim Versorgungsausgleich ist es bei verschwiegenen Anwartschaften vorrangig vor einem schuldrechtlichen Ausgleich nach §§ 20 ff VersAusglG (Borth FamRZ 13, 1185; ders FamRZ 12, 337, 339). Außerdem sind die §§ 578 ff in den Zulassungssachen betreffenden gerichtlichen Verfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung entsprechend anwendbar (BGHZ 125, 288). Wird die Wiederaufnahme eines durch Beschluss beendeten Verfahrens begehrt, ist – an Stelle einer Klage – ein Wiederaufnahmeantrag zu stellen, über den durch Beschluss entschieden wird (s § 585 Rn 13). Prozesshandlungen können bei Vorliegen eines Restitutionsgrundes widerrufen werden, was insb für die Abstandnahme von einer Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, von einer Erledigungserklärung, von einem Anerkenntnis oder von einem Rechtsmittelverzicht Bedeutung erlangen kann (BGH NJW 13, 2686; BFHE 215, 53 [BFH 26.10.2006 - V R 40/05]; BVerwG NVwZ-RR 99, 407 [BVerwG 07.08.1998 - BVerwG 4 B 75.98]; wohl auch BSG v 21.12.15 – B 9 SB 55/15 B Rz 6; BayVGH v 9.5.18 – 1 B 14.2215, nv; VG ...