Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
Rn 4
Der Restitutionskläger war schuldlos außerstande, den Restitutionsgrund im früheren Verfahren geltend zu machen, wenn er ihn seinerzeit nicht kannte oder hätte kennen müssen, oder, wenn er zwar bekannt oder erkennbar war, ein Geltendmachen aber keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Sind etwa Rechtsmittel- oder Einspruchsfrist schon abgelaufen, als der Restitutionsgrund erkennbar zu Tage trat, ist ein Verschulden ausgeschlossen. Ist eine Nichtzulassungsbeschwerde erkennbar aussichtslos, braucht sie nicht eingelegt zu werden (LAG Hamm 25.9.08 – 8 Sa 963/08 – nv). An das Verschulden werden ansonsten durchaus strenge Anforderungen gestellt, da auch nur leichte Fahrlässigkeit hinreichend ist (BGH WM 74, 264). Ein Verschulden von gesetzlichen Vertretern (§ 51 II), Prozessbevollmächtigen (§ 85 II) und Betreuern (§ 278 BGB) wird zugerechnet (zuletzt Köln r+s 19, 533; Hamm FamRZ 14, 1935 mwN).
Problematisch sind insb folgende Konstellationen:
1. Restitutionsgründe nach § 580 Nr 1–5.
Rn 5
Umstritten ist hier, ob zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 582 (fehlendes Verschulden) die Straftat als solche schon im früheren Verfahren geltend gemacht werden muss, wenn noch keine Verurteilung erfolgt ist. Die wohl überwiegende Ansicht bejaht dies (etwa Zö/Greger § 582 Rz 4; Musielak/Voit/Musielak § 582 Rz 2; BGH MDR 58, 670), auch wenn selbstverständlich ohne die Verurteilung die Wiederaufnahme letztlich scheitert (vgl BGHZ 12, 284; BGH NJW 97, 1309; v 7.7.00 – V ZR 425/98 – nv). Sinnvoll wäre die Aussetzung bis zum Abschluss des Strafverfahrens, um das Gericht nicht zur Abweisung der Restitutionsklage mangels Verurteilung zu zwingen, s § 581 Rn 2. Die Anhaltspunkte für die Straftat müssen freilich zumindest so konkret sein, dass sie einen Anfangsverdacht begründen. Andernfalls ist ein Verschulden zu verneinen, so dass, falls die Straftat erst später aufgedeckt wird und es auch zur Verurteilung kommt, die Restitutionsklage nicht ausgeschlossen ist.
2. Restitutionsgrund nach § 580 Nr 7b.
Rn 6
Von einem Verschulden des Restitutionsklägers ist regelmäßig auszugehen, wenn die Urkunde während des früheren Verfahrens bereits existiert hat und ihm auch bekannt und zugänglich gewesen ist. Wurde sie erst nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung errichtet und stellt nur ausnahmsweise und allein aufgrund ihres Rückbezugs einen Restitutionsgrund dar (s § 580 Rn 14), liegt (selbstverständlich) kein Verschulden vor. Zwischen diesen beiden eindeutigen Konstellationen liegen die Fälle, in denen die Urkunde zwar existiert hat, dem Restitutionskläger aber nicht bekannt oder unmittelbar zugänglich war, und es deshalb auf seine Fahrlässigkeit ankommt. Vielfach kann dabei auf die Wertungen zurückgegriffen werden, die auch schon zu Nr 7b (Auffinden oder Benutzbarwerden) angestellt wurden. § 582 schließt darüber hinaus letztlich nur die Fälle aus, in denen feststeht, dass der Restitutionskläger sich die Urkunde hätte beschaffen müssen oder insgesamt ›hätte besser suchen müssen‹. Hier sollte wie folgt differenziert werden: Wenn sich die Urkunde unbemerkt im Gewahrsam des Restitutionsklägers befand, ist idR von einem Verschulden auszugehen, da er in seinen Unterlagen Ordnung zu halten hat (BGH WM 74, 264; zuletzt Köln v 11.12.08 – 18 U 190/05 – nv). Befand sie sich im Gewahrsam eines Dritten, ist nach den Möglichkeiten der Beschaffung über §§ 421, 428 ff (Oldbg NJW-RR 99, 1443 [OLG Oldenburg 27.10.1998 - 5 U 123/98]; Zö/Greger § 582 Rz 6) oder der Durchsetzbarkeit eines (die Urkunde ggf sogar ersetzenden) zivilrechtlichen Auskunftsanspruchs zu fragen (vgl BGH NJW 93, 1717 [BGH 17.03.1993 - XII ZR 256/91]; LAG Rheinland-Pfalz v 14.1.21 – 5 Sa 370/19). Zudem kann dem Restitutionskläger die Suche in öffentlichen Registern und Archiven obliegen (zuletzt BVerwG NJW 07, 1607). In all diesen Fällen des Drittgewahrsams darf aber vom Restitutionskläger nicht verlangt werden, ›auf gut Glück‹ zu suchen (BVerwG DVBl 03, 868; vgl BGH NJW 00, 1871, sub 4c). Er muss also nur eine solche Suche aufnehmen, die sich ihm aufdrängt, weil sie von vornherein Erfolg verspricht. Hat er etwa keine Kenntnis von den beurkundeten Vorgängen, ist ihm eine gezielte Suche nach der Urkunde kaum möglich. Der typische Fall fehlenden Verschuldens ist also der Zufallsfund außerhalb des eigenen Gewahrsamsbereichs.
3. Der Restitutionsgrund wurde im früheren Verfahren ohne Erfolg geltend gemacht.
Rn 7
Nach wohl herrschender Ansicht kommt es zur Unzulässigkeit auch dann, wenn der Restitutionsgrund im früheren Verfahren bereits geltend gemacht wurde, ihm aber – sei es auch zu Unrecht – der Erfolg versagt blieb (differenzierend Musielak/Voit/Musielak § 582 Rz 4; wie hier Zö/Greger § 582 Rz 7 jew mwN auch zur Gegenansicht). Sinn und Zweck der Restitutionsklage liegen in der Möglichkeit, bisher unbekannte Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und nicht darin, dem Restitutionskläger eine weitere Instanz zur nochmaligen Überprüfung der Beweiswürdigung des Tatrichters zu eröffnen (Nürnbg FamRZ 11, 754). Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht.