Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 5
Da die Verbindung gleichgelagerter Verfahren aus prozessökonomischen Gründen sachgerecht erscheint, sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen der einfachen Streitgenossenschaft großzügig auszulegen (BGH NJW 92, 981 f; NJW 18, 2200 [BGH 06.06.2018 - X ARZ 303/18] Rz 12). §§ 59, 60 kennen drei Fälle der einfachen Streitgenossenschaft.
I. Rechtsgemeinschaft.
Rn 6
Nach § 59 Alt 1 ist eine Streitgenossenschaft bei (behaupteter) Rechtsgemeinschaft zulässig, wenn Streitgegenstand des Verfahrens die materielle Rechtsbefugnis an einer Sache oder einem Recht bildet (BGHZ 92, 351, 353 = NJW 85, 385). Als Beispiele sind die Gesamtgläubigerschaft (Klage auf Freigabe eines zugunsten mehrerer Personen hinterlegten Betrags, BGHZ 88, 331 f), die Gesamtschuldnerschaft (etwa der Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Innen-GbR), die Gemeinschaft von Miteigentümern und die Gesamthandsgemeinschaft zu nennen. Ebenso sind die Fälle der Teilhaftung etwa mehrerer Bauherren einer Bauherrengemeinschaft (§ 420 BGB) und der akzessorischen Haftung (Hauptschuldner und Bürge), aber auch das Zusammentreffen der persönlichen und dinglichen Haftung (Grundschuld, Hypothek) betroffen. Ferner gilt die Bestimmung bei Geltendmachung von Forderungen gegen eine GbR bzw OHG und ihre Gesellschafter sowie bei Inanspruchnahme von Schädiger/Versicherungsnehmer und Versicherer (BGH MDR 12, 181 [BGH 29.11.2011 - VI ZR 201/10]).
II. Identität des tatsächlichen und rechtlichen Grundes.
Rn 7
Diese in § 59 Alt 2 geregelte Streitgenossenschaft greift nur ein, wenn die Identität kumulativ bzgl des tatsächlichen und rechtlichen Grundes gegeben ist (BFH DStR 20, 2423 [BFH 23.07.2020 - V R 40/18] Rz 8). Darum genügt eine Identität des tatsächlichen Grundes bei einem unterschiedlichen Rechtsgrund nicht (BGH NJW 92, 981). Die Regelung ist einschlägig bei Ansprüchen aus einem Verkehrsunfall gegen mehrere Schädiger oder aus einem Vertrag gegen mehrere Vertragspartner (Kobl MDR 10, 281 [OLG Koblenz 19.01.2010 - 5 W 2/10]). Ebenso verhält es sich bei einer negativen Feststellungsklage gegen Zedent und Zessionar (Skusa NJW 11, 2698) und Ansprüchen von Mutter und Kind gegen den nichtehelichen Vater.
III. Gleichartige Ansprüche aus gleichartigem tatsächlichem und rechtlichem Grund.
Rn 8
Alternative 3 einer Streitgenossenschaft ist in § 60 geregelt. Wegen des weiten Tatbestandes von § 60 wird eine Unterscheidung der drei Varianten einer Streitgenossenschaft vielfach abgelehnt und eine Streitgenossenschaft bereits dann zugelassen, wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig erscheint (Musielak/Voit/Weth Rz 7 mwN). Dieser sich ohne Not vom Tatbestand der §§ 59, 60 lösenden Würdigung ist nicht zu folgen (MüKoZPO/Schilken Rz 3). Zustimmungswürdig erscheint es vielmehr, die Bestimmung des § 60 aus Zweckmäßigkeitsgründen weit auszulegen (BGH NJW 75, 1228; ZIP 13, 1399 Rz 8; NJW 18, 2200 Rz 12; Hamm NJW-RR 18, 318). Abweichend von § 59 Alt 2 setzt § 60 keine Identität von tatsächlichem und rechtlichem Grund voraus, sondern begnügt sich mit dem weniger strengen Merkmal der Gleichartigkeit hinsichtlich Anspruch, Tatsachen und Rechtsgrund.
1. Anspruch.
Rn 9
Die Gleichartigkeit der Ansprüche ist nach dem abstrakten Inhalt des Verlangens zu beurteilen und bei mehreren Schadensersatzansprüchen (KG MDR 00, 1394), mehreren Lieferungsansprüchen aus Kaufvertrag, mehreren wechselrechtlichen Ansprüchen oder mehreren Unterhaltsansprüchen gegeben. Ohne Bedeutung ist, ob die verschiedenen Ansprüche auf derselben Anspruchsgrundlage fußen, so dass aus einem Schadensereignis gegen einen Streitgenossen vertragliche und gegen einen anderen deliktische Schadensersatzansprüche erhoben werden können (BayObLGR 05, 900 f). Die Regelung ist einschlägig, wenn Ansprüche aus einer Vermögensanlage bei einem gleichartigen Lebenssachverhalt gegen mehrere Personen verfolgt werden, auch wenn unterschiedliche Verträge zugrunde liegen (BGH ZIP 13, 1399 Rz 8). Gleichartige Ansprüche bestehen nicht, wenn der Architekt von dem Bauherrn Erstattung zu Unrecht gezahlter Mängelbeseitigungskosten verlangt und zugleich den Bauunternehmer wegen gemeinsam zu verantwortender Mängel in Regress nimmt (Köln NZBau 13, 375, 379 [OLG Köln 13.03.2013 - 16 U 123/12]). Ebenso verhält es sich, wenn der Käufer eines PKW gegen den Verkäufer vertragliche Sachmängelansprüche und gegen den Hersteller Ansprüche aus unerlaubter Handlung verfolgt (BGH NJW 18, 2200 [BGH 06.06.2018 - X ARZ 303/18] Rz 13).
2. Tatsachen.
Rn 10
Der Tatsachenstoff ist gleichartig, falls mehrere Bauherren aus einem gemeinsamen Bauvertrag verklagt werden (BayObLGZ 83, 64, 66) oder ein einheitliches Schadensereignis (Verkehrsunfall, ärztliche Fehlbehandlung auch bei zeitlich aufeinander folgender Versorgung: BayObLGR 02, 425) die Grundlage für Ansprüche von oder gegen mehrere Personen bildet (KG MDR 00, 1394). In gleicher Weise ist es zu bewerten, wenn der bauplanende und der aufsichtführende Architekt wegen Baumängel (BayObLG NJW-RR 98, 814 [BayObLG 03.03.1998 - 1Z AR 9/98]) oder mehrere Bauhandwerker wegen Mängeln an demselben Bauwerk in Anspruch genommen werden (BayObLG NJW-RR 98, 209 [OLG Saarbrücken 23.06.1997 - 5 W 160/97-56]). Handelt ...