Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
Streitgenossen stehen, soweit nicht aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder dieses Gesetzes sich ein anderes ergibt, dem Gegner dergestalt als Einzelne gegenüber, dass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Die Bestimmung statuiert den Grundsatz der prozessualen Selbstständigkeit der einzelnen Streitgenossen. Darum ist jeder Streitgenosse so zu behandeln, als ob er nur allein mit dem Gegner prozessieren würde (BGH NJW-RR 89, 1099 [BGH 17.03.1989 - V ZR 233/87]). Die Vorschrift wird durch die Regelung des § 63 über den Prozessbetrieb und die Terminsladungen ergänzt. Der Anwendungsbereich des § 61 beschränkt sich auf die einfache Streitgenossenschaft, weil § 62 für die notwendige Streitgenossenschaft Sonderregeln enthält. Darüber hinaus entfällt ausnahmsweise die Selbstständigkeit der Streitgenossen iRd Gesamtschuldnerschaft (§§ 423–425 BGB) und der Gesamtgläubigerschaft (§ 429 BGB).
B. Selbstständigkeit der Streitgenossen.
Rn 2
Das Gesetz bringt den Grundsatz der Selbstständigkeit durch die Formulierung zum Ausdruck, dass die Streitgenossen dem Gegner ›als Einzelne gegenüberstehen‹. Die Streitgenossenschaft bewirkt nur eine äußerliche Verbindung mehrerer Prozesse, deren innere Entwicklung selbstständig verläuft (BGHZ 8, 72, 78 = NJW 53, 420). Deshalb führt der einzelne Streitgenosse seinen Rechtstreit selbst, ohne dass Prozesshandlungen anderer Streitgenossen wechselseitig Vorteile oder Nachteile auslösen (BGH NJW 94, 3102 f [BGH 26.05.1994 - IX ZR 39/93]; NJW-RR 89, 1099 [BGH 17.03.1989 - V ZR 233/87]). Deshalb wirkt eine Prozesshandlung nur im Verhältnis zu dem Streitgenossen, dem ggü sie vorgenommen wird (BGH RR 10, 911 Rz 22).
I. Sachurteilsvoraussetzungen.
Rn 3
Sie sind für jeden Streitgenossen gesondert zu untersuchen (BGH NJW 94, 3102 f [BGH 26.05.1994 - IX ZR 39/93]; GRUR 84, 36 f). Eine Streitgenossenschaft ermöglicht in den Fällen einer Unterhaltsklage des Kindes gegen beide Eltern (§ 35a), einer Wechselklage gegen mehrere Beklagte (§§ 603 II, 605a) und einer Haftpflichtklage iRv § 56 LuftVG einer Konzentration der örtlichen Zuständigkeit an einem Gerichtsstand. Ansonsten können unterschiedliche Gerichtsstände mehrerer Streitgenossen im Verfahren nach § 36 Nr 3 zusammengeführt werden. Verweist das LG den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht und legt nur einer der Streitgenossen dagegen Beschwerde ein (§ 17a IV GVG), so kann die Entscheidung nicht auch für die weiteren Streitgenossen einer Prüfung unterzogen werden (BGH NJW-RR 06, 286).
II. Allgemeiner Verfahrensgang.
Rn 4
Der Prozess wird ggü jedem einzelnen Streitgenossen durch individuelle Klagezustellung mit der Folge der Rechtshängigkeit in Gang gesetzt. Eine Klageerhebung im Wege einer eventuellen Streitgenossenschaft, also für den Fall, dass der Kl im Verfahren gegen den vorrangig verklagten Streitgenossen unterliegt, ist unwirksam, weil sie an eine außerprozessuale Bedingung, nämlich den Ausgang des fremden Prozesses, gekoppelt ist (BGH NJW-RR 08, 295 [BGH 20.09.2007 - IX ZR 91/06]; Hamm MDR 05, 533; vgl auch §§ 59, 60 Rn 12). Zustellungen sind generell an alle Streitgenossen zu bewirken, so dass etwaige Fristen für jeden Streitgenossen eigens laufen (KG VersR 75, 350). Mehrere Streitgenossen können einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten beauftragen, sich aber auch getrennt vertreten lassen. Angriffs- und Verteidigungsmittel können Streitgenossen ohne wechselseitige Bindung frei vorbringen. Werden Haftpflichtversicherer und Schädiger gemeinsam im selben Rechtsstreit in Anspruch genommen, liegt zwischen ihnen eine einfache Streitgenossenschaft vor, sodass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen dürfen (BGH NJW 19, 3788 [BGH 23.07.2019 - VI ZR 337/18] Rz 16). Beim Verdacht einer Unfallmanipulation darf der neben seinem Versicherungsnehmer verklagte Haftpflichtversicherer im Prozess als Streithelfer unabhängig von dem Vortrag des Versicherungsnehmers durch eine abweichende Darstellung seine Interessen wahrnehmen (BGH RR 12, 233 Rz 3 ff). Tatsächliche Behauptungen darf ein Streitgenosse auch im Widerspruch zu einem anderen Streitgenossen aufstellen (LAG Hamm MDR 01, 531 f). Ebenso bleibt dem einzelnen Streitgenossen vorbehalten, ob er ein Vorbringen der Gegenseite als unbestritten (§ 138 III) hinnimmt (BGH NJW-RR 03, 1344 [BGH 27.02.2003 - I ZR 145/00]). Ein Geständnis (§ 288) wirkt nur zu Lasten des die Erklärung abgebenden Streitgenossen, kann freilich ggü einem bestreitenden Streitgenossen iRd gem § 286 vorzunehmenden Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Im Zweifel gilt freilich, dass sich ein Streitgenosse Angriffs- und Verteidigungsmittel eines anderen Streitgenossen – was ggf durch Ausübung des Fragerechts (§ 139) zu klären ist – zu Eigen macht (BGH NJW 15, 2125 [BGH 24.03.2015 - VI ZR 179/13] Rz 14). Die Beweisaufnahme findet für alle Streitgenossen einheitlich statt (BGH NJW-RR 03, 1002). Die gerichtliche Beweiswürdigung hinsichtlich einer Tatsache, die für die Verfahren mehrerer Streitgenossen Bedeutung hat,...