Prof. Dr. Markus Gehrlein
I. Grundsatz.
Rn 17
Auch bei einer notwendigen Streitgenossenschaft stehen die einzelnen Streitgenossen zu dem Gegner jeweils in einem gesonderten Prozessrechtsverhältnis. Der lückenhaften gesetzlichen Regelung ist nicht zu entnehmen, dass Prozesshandlungen, die von oder ggü Streitgenossen ausgeübt werden, stets einheitlich zu beurteilen sind. Deshalb hemmt die Klageerhebung gegen einen nicht ggü anderen notwendigen Streitgenossen die Verjährung (BGHZ 131, 376, 378 ff = NJW 96, 1060). Da § 62 eine einheitliche Entscheidung sicherstellen will, ist bei unterschiedlichem Prozessverhalten die Rechtsstellung des Streitgenossen ausschlaggebend, der ggü dem gemeinsamen Gegner eine bessere Position erlangt hat (Günstigkeitsprinzip).
II. Zulässigkeit der Klage.
Rn 18
Sie ist für jeden Streitgenossen gesondert zu prüfen. Falls die Klage eines oder gegen einen Streitgenossen als unzulässig abzuweisen ist, kann bei einer prozessrechtlich notwendigen Streitgenossenschaft im Verhältnis zu den übrigen Streitgenossen ein Sachurteil ergehen. Handelt es sich dagegen um eine materiell-rechtlich notwendige Streitgenossenschaft, erstreckt sich die Unzulässigkeit einer Klage, weil die Prozessführungsbefugnis insgesamt entfällt, auch auf die übrigen Kl (BGHZ 92, 351, 353 = NJW 85, 385; BGHZ 36, 187 = NJW 62, 633). Stellt der Rechtsstreit nur im Verhältnis zu einem Bekl eine Wohnungseigentumssache nach § 43 Abs 2 WEG dar, richtet sich die Zuständigkeit in der Berufungsinstanz auch für einen weiteren Bekl nach § 72 II GVG, wenn die Entscheidung erster Instanz beide Streitgenossen betrifft (BGH NJW-RR 14, 1107 [BGH 03.07.2014 - V ZB 26/14] Rz 5). Eine Klage gegen einzelne notwendige Streitgenossen ist nicht schlechthin ausgeschlossen, sofern sich die nicht verklagten zuvor zu der verlangten Leistung als verpflichtet bekannt haben (BGH NJW-RR 14, 903 [BGH 04.04.2014 - V ZR 110/13] Rz 10).
III. Prozesshandlungen.
Rn 19
Da jeder Streitgenosse grds Prozesshandlungen nur mit Wirkung für seinen eigenen Prozess vornimmt, sind die Prozesshandlungen notwendiger Streitgenossen gesondert auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen (BGHZ 131, 376, 381 = NJW 96, 1060). Jeder Streitgenosse ist berechtigt, sich durch einen eigenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Zustellungen sind separat an jeden Streitgenossen zu bewirken. Die rügelose Verhandlung eines Streitgenossen zur Hauptsache hindert die anderen Streitgenossen nicht (Wieczorek/Schütze/Schütze Rz 73), die Zuständigkeit des Gerichts zu rügen (§ 39), einer Klageänderung zu widersprechen (§ 267), Verfahrensfehler zu beanstanden (§ 295) oder Zulässigkeitsrügen zu erheben (§ 282 III). Behaupten und Bestreiten beschränkt sich, sofern andere Streitgenossen sich das Vorbringen nicht konkludent zu eigen machen, auf den sich erklärenden Streitgenossen. Ebenfalls bindet ein Geständnis (§ 288) nur den gestehenden Streitgenossen, kann aber ggü den andern Streitgenossen in die Beweiswürdigung (§ 286) einfließen (vgl BGHZ 146, 341, 349 = NJW 01, 1056). Anerkenntnis (§ 307) und Verzicht (§ 306) sind, weil sie den Inhalt der bei notwendiger Streitgenossenschaft einheitlichen Sachentscheidung betreffen, nur wirksam, wenn sie von allen Streitgenossen erklärt werden (Zö/Vollkommer 26). Anerkenntnis oder Verzicht eines einzelnen Streitgenossen können freilich iRv § 286 gewürdigt werden. Gegen die Wirksamkeit einer isolierten Klagerücknahme (§ 269) bestehen bei einer prozessrechtlich notwendigen Streitgenossenschaft keine Bedenken (BSG NJW 72, 175 f [BSG 30.07.1971 - 2 RU 241/68]). Demgegenüber sprechen bei einer materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft die besseren Gründe dafür, eine isolierte Klagerücknahme nicht zuzulassen, weil der Zwang zur gemeinsamen Klage eine einseitige Rücknahme verbietet und die – sich mangels Prozessführungsbefugnis in einer Klageabweisung manifestierende – Bindung der klagewilligen an den prozessmüden Streitgenossen dem Vertretungsprinzip bei Säumnis (§ 62 I Hs 2) widerspricht (RGZ 78, 101, 104; Zö/Vollkommer Rz 25; aA Rostock NJW-RR 95, 381 f; St/J/Bork Rz 35). In Anlehnung an diese Grundsätze ist eine übereinstimmende Erledigungserklärung (§ 91a) nur wirksam, wenn sie von allen materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossen abgegeben wird. Mangels materieller Verfügungsbefugnis scheitern Aufrechnung und Vergleich, wenn sie bei einer materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft auf der Einzelhandlung eines Streitgenossen beruhen. Prozesshandlungen des Gegners sind ggü allen Streitgenossen vorzunehmen, weil ein Unterliegen ggü einem Streitgenossen wegen des Zwangs zu einer einheitlichen Entscheidung zum Verlust des Gesamtprozesses führen würde.
IV. Säumnis.
1. Terminsäumnis.
Rn 20
Bleibt ein Streitgenosse der Güteverhandlung (§ 278) fern, ist sie gescheitert. Für den Fall der Säumnis in der (streitigen) mündlichen Verhandlung ordnet § 62 I Hs 2 im Interesse einer einheitlichen Entscheidung an, dass die erschienenen die säumigen Streitgenossen vertreten (BGH NJW-RR 22, 1598 [BGH 08.07.2022 - V ZR 207/21] Rz 9). Verhandelt ein Streitgenosse, darf gegen die säumigen wed...