Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
(1) Kann das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden oder ist die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grund eine notwendige, so werden, wenn ein Termin oder eine Frist nur von einzelnen Streitgenossen versäumt wird, die säumigen Streitgenossen als durch die nicht säumigen vertreten angesehen.
(2) Die säumigen Streitgenossen sind auch in dem späteren Verfahren zuzuziehen.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Die Vorschrift befasst sich mit der notwendigen Streitgenossenschaft, bei der entweder aus prozessualen oder materiell-rechtlichen Gründen abw von § 61 ggü allen Streitgenossen eine inhaltlich übereinstimmende Entscheidung ergehen muss (BGHZ 36, 187, 189 f = NJW 62, 633; WM 17, 1940 Rz 19). Der Zwang zu einer einheitlichen Entscheidung erfordert eine engere Verzahnung der von den Streitgenossen geführten Verfahren, die von § 62, der lediglich Termins- und Fristversäumnisse betrifft, nur in unvollkommener Weise geleistet wird. Deshalb werden über den Wortlaut hinausreichende zusätzliche gemeinsame Wirkungen der notwendigen Streitgenossenschaft aus § 62 hergeleitet. Das Gesetz unterscheidet je nachdem, ob die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung auf prozessualen oder materiell-rechtlichen Vorschriften beruht, zwischen der prozessrechtlich notwendigen (§ 62 I Alt 1) und der materiell-rechtlich notwendigen (§ 61 I Alt 2) Streitgenossenschaft. Eine Erweiterung der notwendigen Streitgenossenschaft über die gesetzlich normierten Konstellationen hinaus, etwa im Wege der Parteivereinbarung, ist nicht anzuerkennen (BAGE 42, 389 f [BAG 17.05.1983 - 1 ABR 5/80] = MDR 83, 1052). In ein und demselben Verfahren können nebeneinander eine einfache und eine notwendige Streitgenossenschaft eingreifen, sofern im Fall einer objektiven Klagehäufung (§ 260) für einen Anspruch eine einheitliche Entscheidung geboten ist (BGH NJW 54, 1200).
B. Prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft.
I. Begriff.
Rn 2
Eine prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass die gegen einen Streitgenossen ergehende Entscheidung im Verhältnis zu dem anderen Streitgenossen Rechtskraft oder Gestaltungswirkung ausübt (St/J/Bork Rz 5; MüKoZPO/Schilken Rz 5). Im Fall der Rechtskrafterstreckung ist eine einheitliche Entscheidung geboten, weil sogar dann, wenn die Verfahren selbstständig nacheinander geführt würden, nicht abw erkannt werden dürfte (BGHZ 92, 351, 354 = NJW 85, 385). Da nur ein positives Gestaltungsurteil Gestaltungswirkung zeitigt, besteht grds die Möglichkeit, dass nach Abweisung einer ersten Gestaltungsklage ein weiterer Klageberechtigter durch die Erhebung einer neuen Gestaltungsklage die Rechtslage auch im Verhältnis zu dem Erstkläger modifiziert. Dieser Gefahr ist bei gleichzeitiger Erhebung mehrerer Gestaltungsklagen durch eine einheitliche Entscheidung vorzubeugen (MüKoZPO/Schilken Rz 10; Lindacher JuS 86, 379, 383). Handelt es sich um eine prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft, sind Einzelklagen – im Unterschied zur materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft – uneingeschränkt zulässig (BGHZ 36, 187 f = NJW 62, 633; BGHZ 30, 195, 198 = NJW 59, 1683); freilich sollte das Gericht die Verfahren durch eine Verbindung (§ 147) zusammenführen.
II. Rechtskrafterstreckung.
Rn 3
Eine notwendige Streitgenossenschaft liegt sowohl bei einer allseitigen Rechtskrafterstreckung, die bei stattgebendem und klageabweisendem Urt eingreift, als auch bei einer nur einseitigen Rechtskrafterstreckung vor, die entweder an die Klagestattgabe oder Klageabweisung anknüpft.
1. Allseitige Rechtskrafterstreckung.
Rn 4
Eine allseitige Rechtskrafterstreckung sehen nur wenige Vorschriften vor: Der praktisch bedeutsame Fall einer Rechtskrafterstreckung bei Veräußerung der streitbefangenen Sache (§ 325) erzeugt keine Streitgenossenschaft, weil grds der Rechtsvorgänger den Rechtsstreit für den selbst nicht in den Prozess einrückenden Rechtsnachfolger fortführt, der Rechtsnachfolger allenfalls den Rechtsstreit von dem daraus ausscheidenden Rechtsvorgänger übernehmen kann, beide aber jedenfalls nie gemeinsam an dem Verfahren beteiligt sind. Ebenso verhält es sich bei der Rechtskrafterstreckung der Vor- und Nacherbschaft (§ 326), weil der Nacherbe während der Dauer der Vorerbschaft nicht prozessführungsbefugt ist. Unter den Voraussetzungen des § 2213 I 1 BGB kann sich infolge der Rechtskrafterstreckung des § 327 eine notwendige Streitgenossenschaft zwischen Testamentsvollstrecker und Erbe ergeben. Ferner verwirklicht sich eine notwendige Streitgenossenschaft iRd durch § 856 IV angeordneten Rechtskrafterstreckung, wenn ein Pfändungsgläubiger nach Forderungspfändung und -überweisung den Drittschuldner wegen der Pflichten aus §§ 853 bis 855 in Anspruch nimmt und sich ein anderer Pfändungsgläubiger dem Rechtsstreit anschließt (§ 856 II). Eine allseitige Rechtskrafterstreckung sieht schließlich § 640h vor, wobei freilich regelmäßig eine gleichzeitige Parteistellung und damit eine Streitgenossenschaft ausscheiden.
2. Einseitige Rechtskrafterstreckung.
Rn 5
Sie wird bei stattgebenden Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschluss...