Prof. Dr. Markus Gehrlein
Rn 5
Ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Hauptpartei, ein Interventionsgrund, liegt vor, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits durch Inhalt oder Vollstreckung unmittelbar oder mittelbar auf privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verhältnisse des Nebenintervenienten einwirkt (BGH WM 06, 1252; NJW 97, 2385 f). Der Begriff des rechtlichen Interesses ist weit auszulegen (BGHZ 166, 18, 20). Ein rechtliches Interesse fehlt, falls Ansprüche gegen den Nebenintervenienten vom Ausgang des Hauptprozesses unabhängig sind, ist hingegen gegeben, wenn das Unterliegen der Hauptpartei dem Nebenintervenienten zwar keinen Nachteil, ihr Obsiegen aber einen Vorteil bringt. Das Interesse darf nicht erst durch den Rechtsstreit geschaffen werden, in dem der Beitritt erfolgen soll (BGH NJW 18, 3016 Rz 14). Die Nebenintervention ist insgesamt zulässig, selbst wenn sich das Interesse des Streithelfers nur auf einen Teil der Hauptsache beschränkt (Ddorf MDR 66, 852 [OLG Düsseldorf 28.04.1966 - 6 U 182/65]). Die Zulässigkeit eines Beitritts zu Klage und Widerklage ist jew selbstständig zu prüfen (BGH NJW 18, 3016 [BGH 03.07.2018 - II ZB 28/16] Rz 18).
1. Fälle eines nicht bestehenden Interventionsgrundes.
Rn 6
Ein rein tatsächliches oder wirtschaftliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei rechtfertigt eine Nebenintervention nicht (Frankf NJW-RR 23, 638 [BGH 25.10.2022 - VI ZR 382/21]). Der bloße Wunsch eines Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zu Gunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer Partei an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihm günstigen Entscheidung gelangen, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermögen. Das genügt ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (BGH NJW 16, 1018 [BGH 18.11.2015 - VII ZB 57/12] Rz 13). Ein Aktionär kann seiner AG, weil es sich allein um ein wirtschaftliches Interesse handelt, nicht wegen einer bei einem Prozessverlust befürchteten Dividendenkürzung beitreten (Schlesw ZIP 99, 1760). Ebenso scheidet ein Beitritt des Gesellschafters bei Zahlungsklagen einer GbR oder oHG gg Nichtgesellschafter aus (BGH NJW 18, 3016 [BGH 03.07.2018 - II ZB 28/16] Rz 11). Anders verhält es sich hingegen, wenn der Hauptprozess die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs berührt. Ein nach § 147 II AktG zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft bestellter besonderer Vertreter kann nicht als Nebenintervenient der Beschlussmängelklage eines Aktionärs gegen einen für die Ersatzansprüche möglicherweise relevanten Hauptversammlungsbeschluss beitreten (München NJW-RR 09, 108 [OLG München 07.10.2008 - 7 W 1034/08]). Wird ein Gesellschafter (Anwalt) von seiner geschiedenen Frau iRe Unterhaltsverfahrens auf Auskunft über seine Vermögensverhältnisse verklagt und beruft er sich auf seine
Geheimhaltungsverpflichtungen innerhalb der Sozietät, rechtfertigt dies nicht den Beitritt eines Sozius (Braunschw NJW-RR 05, 589 [OLG Braunschweig 02.11.2004 - 1 UF 111/04]). Da ein eigenes rechtliches Interesse verlangt wird, kann der Nebenintervenient nicht zwecks Verwirklichung ihm fremder Drittrechte (auch nahestehender Personen) beitreten. In dieser Konstellation kommt auch dann eine Ausnahme nicht in Betracht, wenn der Beitretende gegen den Bekl aus demselben Lebenssachverhalt fließende eigene Ansprüche künftig zu verfolgen beabsichtigt (BGH WM 06, 1252; BAG NJW 68, 73). Darum kann ein Einzelverfahren nicht unter Beteiligung weiterer Gläubiger in der Rechtsstellung von Nebenintervenienten als Musterprozess geführt werden. Allein die Möglichkeit, dass ein Urt in einem ersten Prozess für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung entfaltet, vermag ein rechtliches Interesse nicht zu begründen. Das gilt auch im Fall der Nebenintervention von ›Parallelverwendern‹ inhaltsgleicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen (BGH RR 11, 907 Rz 11). Der Geschädigte kann nicht dem Schädiger im Deckungsprozess gegen dessen Versicherer beitreten (München VersR 76, 73). Soweit Schadensersatzansprüche nicht auf den Träger der Sozialversicherung übergegangen sind, ist es ihm verwehrt, den Geschädigten im Rechtsstreit gegen den Schädiger zu unterstützen (Köln MDR 71, 849 [OLG Köln 17.03.1971 - 13 W 87/70]). Der Krankenversicherer des Patienten kann dessen Haftpflichtprozess gegen den Arzt nicht als Nebenintervenient beitreten (Koblenz NJW-RR 2009, 963 [OLG Koblenz 14.04.2009 - 5 U 309/09]). Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers kann bei einer Zahlungsklage des Mietwagenunternehmens nicht dem Geschädigten als Fahrzeugmieter beitreten (AG Mainz DV 2013, 41). Ebenso ist der Gläubiger an einem Beitritt zugunsten seines Schuldners im Prozess gegen dessen Freistellungsschuldner gehindert (Celle OLGR 02, 308). Gleiches gilt für einen Beitritt des Erben im ...