Prof. Dr. Markus Gehrlein
I. Gewährung rechtlichen Gehörs.
Rn 2
Als Verfahrensbeteiligtem ist dem Streithelfer, der zum Rechtsstreit zuzuziehen ist (§ 71 III), rechtliches Gehör zu geben. Dem Streithelfer sind die Schriftsätze der Parteien mitzuteilen, damit er im Interesse der von ihm unterstützten Hauptpartei auf den Prozess sachlich einwirken kann. Zwecks Teilnahme an der mündlichen Verhandlung sind ihm die Termine bekanntzugeben. Wird der Nebenintervenient nicht ordnungsgemäß geladen, darf gegen die unterstützte Hauptpartei weder ein Versäumnisurteil (§ 335 I Nr 2) noch ein nachteiliges kontradiktorisches Urt ergehen, sondern die Sache ist zu vertagen. Selbstverständlich darf bei Abwesenheit des Streithelfers zugunsten der von ihm unterstützten Hauptpartei entschieden werden. Der Partei zuzustellende fristsetzende Verfügungen sind dem Streithelfer gem § 329 II 1 formlos mitzuteilen. Entsprechendes gilt für der Vorbereitung oder Fortsetzung des Verfahrens dienende gerichtliche Entscheidungen und Urteile. Rechtsmittelfristen berechnen sich nach dem Zustellungszeitpunkt an die Hauptpartei (BGH NJW 90, 190). Der Nebenintervenient hat dafür Sorge zu tragen, dass er – etwa durch eine Anfrage an die Geschäftsstelle – von dem Zustellungsdatum Kenntnis erlangt. Eine in der Person der Hauptpartei verwirklichte Präklusion hat der Nebenintervenient hinzunehmen (Schulze NJW 81, 2663 f). Zu Lasten der Partei kann eine Präklusion mangels einer Zurechnungsnorm nicht auf ein Verschulden des Streithelfers gestützt werden (Fuhrmann NJW 82, 978 f). Freilich kann ein Eigenverschulden der Partei darin liegen, dass sie dem Streithelfer die Prozessführung überlassen hat. Präklusion scheidet aus, wenn die Hauptpartei verspätet, der Nebenintervenient fristgerecht vorträgt.
II. Vornahme von Prozesshandlungen.
1. Angriffs- und Verteidigungsmittel.
Rn 3
Der Streithelfer kann, wobei Hs 2 Angriffs- und Verteidigungsmittel lediglich beispielhaft benennt, alle der Partei zustehenden Prozesshandlungen wirksam vornehmen. In der mündlichen Verhandlung ist der Streithelfer zur Entgegennahme für die Hauptpartei bestimmter Prozesshandlungen berechtigt. Die Vornahme oder Entgegennahme einer Prozesshandlung durch ihn wirkt, wie wenn die Partei selbst gehandelt hätte (BGH NJW 85, 2480 [BGH 28.03.1985 - VII ZR 317/84]). Durch sein Erscheinen in der mündlichen Verhandlung kann der Streithelfer den Erlass eines Versäumnisurteils gegen die Hauptpartei verhindern (BGH ZIP 94, 787 f). Der Streithelfer kann zur Begründung oder Abwehr der Klage Tatsachen behaupten oder bestreiten, Beweisanträge stellen, Beweiseinreden erheben, einem Dritten den Streit verkünden, für die Hauptpartei Richter oder Sachverständige ablehnen. Ferner darf er materiell-rechtliche Einreden der Hauptpartei (Verjährung, Zurückbehaltung, Vorausklage) und von ihr ausgeübte Gestaltungsrechte (Anfechtung, Aufrechnung, Rücktritt) geltend machen (BGH VersR 85, 80). Eine von dem Streithelfer in der mündlichen Verhandlung vorgenommene Prozesshandlung ist bei einem sofortigen Widerruf der Partei wirkungslos; ebenso verhält es sich, wenn schriftsätzliches Vorbringen unverzüglich zurückgewiesen wird. Falls die Hauptpartei nicht widerspricht, kann der Streithelfer außerhalb der mündlichen Verhandlung das Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklären (BayObLGZ 63, 240). Eine Erklärung des Streithelfers mit Nichtwissen ist unzulässig, wenn sie eine Tatsache betrifft, die entweder eine eigene Handlung der unterstützten Hauptpartei oder Gegenstand von deren Wahrnehmung gewesen ist (BGH Urt v 29.10.20 – IX ZR 10/20, Rz 25). Dem Nebenintervenienten ist es verwehrt, materiell-rechtliche Rechtsgeschäfte für die Partei vorzunehmen, gleich ob es sich um die Anfechtung einer Willenserklärung, den Rücktritt vom Vertrag, die Aufrechnung mit einer Forderung der Hauptpartei oder den Abschluss eines Vergleichs handelt (BGH NJW 66, 930). Die Geltendmachung eigener materieller Rechte wird kaum in Betracht kommen, es sei denn, der Streithelfer rechnet als neben der Hauptpartei verpflichteter Gesamtschuldner mit einer ihm zustehenden Forderung auf. Der Streithelfer darf nicht im eigenen, sondern im Interesse der unterstützten Hauptpartei (vgl Rn 1) Anträge stellen, etwa auf Festsetzung des Streitwerts oder Hinausschieben der Zustellung (§ 317 I 3). Ist die unterstützte Hauptpartei nicht zu einer Erklärung mit Nichtwissen berechtigt, muss auch ihr Streithelfer (zumindest) einfach bestreiten (BGH NJW 21, 1957 [BGH 29.10.2020 - IX ZR 10/20] Rz 25). Im selbstständigen Beweisverfahren kann der Streithelfer Anträge auf Fristsetzung zur Klageerhebung (§ 494a I) und bei Nichtbeachtung der Frist auf Kostenerstattung (§ 494a II) stellen (Köln OLGR 05, 219 f; Ddorf BauR 04, 1657). Dem Antragsteller sind im selbstständigen Beweisverfahren die Kosten des Streitfalles des Antragsgegners auch dann aufzuerlegen, wenn er der gerichtlichen Anordnung zur Klageerhebung nur deshalb nicht nachkommt, weil der Antragsgegner wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu einer Mängelbeseitigung nicht in der Lage ist (Frankf...