Prof. Dr. Markus Gehrlein
Gesetzestext
Der Nebenintervenient wird im Verhältnis zu der Hauptpartei mit der Behauptung nicht gehört, dass der Rechtsstreit, wie er dem Richter vorgelegen habe, unrichtig entschieden sei; er wird mit der Behauptung, dass die Hauptpartei den Rechtsstreit mangelhaft geführt habe, nur insoweit gehört, als er durch die Lage des Rechtsstreits zur Zeit seines Beitritts oder durch Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei verhindert worden ist, Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, oder als Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die ihm unbekannt waren, von der Hauptpartei absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht sind.
A. Normgegenstand.
Rn 1
Die Bestimmung statuiert die sog Interventionswirkung, die darin besteht, dass das unter Beteiligung des Nebenintervenienten im Vorprozess ergangene rechtskräftige Urt für ein späteres Verfahren zwischen dem Nebenintervenienten und der Hauptpartei Bindungswirkung entfaltet (BGH NJW 17, 3530 Rz 56). Die auch in WEG-Verfahren mögliche (LG Karlsruhe NJW-RR 15, 1352) Interventionswirkung ist von Amts wegen zu beachten (BGH NJW 15, 1948 [BGH 13.01.2015 - XI ZR 303/12] Rz 15). Sie entfällt, wenn der Streithelfer berechtigterweise die Einrede der mangelhaften Prozessführung, die nur bei ausdrücklicher Geltendmachung zu berücksichtigen ist, erhebt. Die Interventionswirkung richtet sich allein gegen den Streithelfer, so dass die Hauptpartei die Unrichtigkeit des in dem Vorprozess ergangenen Urteils einräumen kann. Ihre prozessökonomische Wirkung entfaltet die Nebenintervention nicht im aktuellen Prozess, sondern erst in einem möglichen Folgeprozess (BGH NJW 22, 2336 Rz 27). Deswegen ist ein Haftpflichtversicherer in dem gg seinen Versicherungsnehmer geführten Prozess nicht gem § 79 Abs 2 S 2 vertretungsbefugt (BGH NJW 22, 2336 [BGH 10.03.2022 - I ZR 70/21] Rz 17).
B. Voraussetzungen.
Rn 2
Die Interventionswirkung ist an zwei im Vorprozess verwirklichte Voraussetzungen gekoppelt, eine wirksame Nebenintervention und eine rechtskräftige Entscheidung.
I. Wirksamer Beitritt.
Rn 3
Eine Partei des Folgeprozesses muss der anderen Partei in dem früheren Prozess beigetreten sein. Es genügt, wenn die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen (vgl § 66 Rn 14) vorlagen, der Beitritt erklärt und nicht nach § 71 zurückgewiesen wurde. Erfolgte keine Zurückweisung, ist es ohne Bedeutung, wenn die Voraussetzungen eines Beitritts (§ 66), insb ein rechtliches Interesse, nicht gegeben waren (BGH WM 72, 346) oder der Beitritt selbst verfahrensmäßig fehlerhaft (§ 70) war. Die Interventionswirkung entfällt nicht durch eine Rücknahme der Nebenintervention oder Untätigkeit in dem Vorprozess.
II. Rechtskräftiges Sachurteil.
Rn 4
Interventionswirkung kann nur ein formell rechtskräftiges, zum Nachteil der Hauptpartei ergangenes Sachurteil, auch ein Grundurteil (§ 304; BGHZ 65, 127, 135), auslösen. Ebenfalls ausreichend ist ein Teilurteil (§ 301), dessen tragenden Feststellungen (NJW 15, 1948 [BGH 13.01.2015 - XI ZR 303/12] Rz 15) sich überdies auf den nicht einklagten Teil der Forderung erstrecken (BGH NJW 68, 1480 f). Ein Prozessurteil hat keine Interventionswirkung. Entsprechend verhält es sich für einen vor Erlass eines Urteils und einen in der Rechtsmittelinstanz geschlossenen Prozessvergleich, durch den das bereits ergangene nicht rechtskräftige vorinstanzliche Urt wirkungslos wird (BGH BB 05, 1762 f; DB 67, 814; VersR 58, 762). Lautet der Vergleich aber dahin, dass die Parteien ihre wechselseitigen Rechtsmittel zurücknehmen, entfaltet das dadurch rechtskräftig gewordene Ersturteil Interventionswirkung (BGH NJW 68, 1480 f [OLG Karlsruhe 09.05.1968 - 9 W 7/68]). Gleiches gilt, wenn die Partei von sich aus ihr Rechtsmittel zurücknimmt (Kobl OLGR 01, 243 f). Die Interventionswirkung wird durch eine Anhörungsrüge im Ursprungsprozess oder eine Verfassungsbeschwerde gegen das dort ergangene Urteil nicht gehindert (BGH NJW 12, 3087 [BGH 10.05.2012 - IX ZR 143/11] Rz 15).
C. Interventionswirkung.
I. Begriff.
Rn 5
Die Interventionswirkung ist eine Entscheidungswirkung eigener Art, die an die Rechtskraft des Vorprozesses anknüpft. Die nicht mit der Rechtskraftwirkung gleichzusetzende Interventionswirkung umfasst weitergehend auch die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen des Ersturteils, die für den Folgeprozess verbindlich sind. Nur in einem weiteren Sinne steht die Interventionswirkung der Rechtskraftwirkung gleich, weil sie auf der Rechtskraft der Vorentscheidung beruht. Ferner kann ihr Drittwirkung zugesprochen werden, da der Nebenintervenient als Dritter betroffen ist. Im Unterschied zur Rechtskraftwirkung kann die Interventionswirkung durch den Vorwurf der mangelhaften Prozessführung beseitigt werden. Die vAw zu berücksichtigende Interventionswirkung (BGHZ 100, 257, 263 = NJW 87, 1894) kann von den Parteien des Folgeprozesses abbedungen werden. Umgekehrt kann sich eine Partei freiwillig den Ergebnissen des Vorprozesses, an dem sie nicht beteiligt war, unterwerfen (Ddorf NJW-RR 93, 1471 [OLG Düsseldorf 04.03.1993 - 18 U 167/92]). Interventionswirkung löst ein Urt nicht für einen in einem anderen Rechtsweg zu führende...