I. Begriff und Zweck.
Rn 1
Die in der Vorschrift abschließend genannten Urteile müssen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden, damit die Vollstreckung aus ihnen stattfinden kann (§ 704). Denn sie werden mit ihrer Verkündung nicht formell rechtskräftig. Im Gegensatz zu den Urteilen des § 709 erfolgt die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit in den Fallgestaltungen des § 708 ohne Sicherheitsleistung, weil das Gesetz hier die Interessen des Gläubigers an einer möglichst raschen Befriedigung ggü denen des Schuldners als vorrangig ansieht (BGH NJW-RR 12, 633 [BGH 07.03.2012 - IV ZR 277/10] zum ausschließenden Verhältnis von §§ 708, 711 einer- und § 709 andererseits). Das hat seinen Grund entweder in der Art der Entscheidung (Anerkenntnis, Säumnis, einstweiliger Rechtsschutz) oder aber im Rechtscharakter des titulierten Anspruchs (Unterhalt, Besitzschutz). Der Schuldner wird demgegenüber auf die Befugnis zur Abwendung der Zwangsvollstreckung nach § 711 verwiesen. Die Vorschrift ist freilich nicht in allen Fällen des § 708 anwendbar. Dass die Interessen des Gläubigers iRd § 708 ggü denen des Schuldners Vorrang haben, zeigt sich auch im Fall der Konkurrenz der in § 708 geregelten Fallgruppen. Sie richtet sich nämlich nach der Vollstreckbarkeit der für Gläubiger günstigeren von zwei Fallgruppen. So ist etwa das Vorbehaltsanerkenntnisurteil nicht nach Nr 4 vollstreckbar, sondern nach Nr 1, weil der Schuldner hier keine Abwendungsbefugnis hat (Kobl NJW-RR 91, 512 [OLG Koblenz 13.12.1990 - 2 U 1749/90]).
II. Eintritt, Umfang und Wirkung.
Rn 2
Der Eintritt der vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt durch Anordnung, die keines besonderen Antrags bedarf, auf die aber nach den §§ 710, 711 S 3, 712 im Antragswege Einfluss genommen werden kann. Die vorläufige Vollstreckbarkeit bezieht sich auch auf die Kostenentscheidung, bei Feststellungs-, Gestaltungsurteilen und auf die Abgabe von Willenserklärungen gerichteten Titeln sogar nur darauf. Vorläufig vollstreckbar ist ein Urt ab Verkündung nach § 310 I, II oder aber ab Zustellung nach § 310 III. Ab diesem Zeitpunkt darf der Gläubiger aus dem Titel vollstrecken. Wird § 708 missachtet und das Urteil fehlerhaft für nicht vollstreckbar erklärt, handelt es sich um eine unrichtige Sachbehandlung und die Gerichtskosten werden niedergeschlagen (Frankf AGS 14. 285). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist auflösend bedingt durch die Verkündung einer abändernden oder aufhebenden Entscheidung nach § 717 I. In diesem Fall entfällt sie, soweit nicht die Zwangsvollstreckung vorher nach § 707 eingestellt worden ist.
Rn 3
Die materiell-rechtlichen Wirkungen der vorläufigen Vollstreckbarkeit sind umstr (MüKoZPO/Götz § 708 Rz 5, 6; St/J/Münzberg § 708 Rz 5 ff mwN). Das betrifft insb die Frage nach der Erfüllungswirkung der Leistung aufgrund der Vollstreckung bzw der Leistung zur Abwehr der Vollstreckung. Die hM verneint diese, weil die reale Leistungsbewirkung bei einem vorläufig vollstreckbaren Titel stets unter dem konkludenten Vorbehalt steht, nicht zur Erfüllung des materiellen Anspruchs leisten zu wollen, sondern bis zur rechtskräftigen Feststellung der Schuld ausschließlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (BGH NJW 97, 2601, 2602 [BGH 03.07.1997 - IX ZR 122/96]; NJW 83, 1111 [BGH 19.01.1983 - VIII ZR 315/81]). Erfüllung iSd § 362 I BGB tritt daher erst mit Rechtskraft des Urteils ein. Allerdings schuldet der Schuldner, nachdem er zur Vollstreckungsabwendung geleistet oder der Gläubiger aus dem vorläufig vollstreckbaren Titel vollstreckt hat, keine Verzugszinsen mehr (BGH NJW 81, 1144; Krüger NJW 90, 1212).
III. Fallgruppen.
1. Nr 1–3.
Rn 4
Angesprochen sind in Nr 1 Anerkenntnisurteile nach § 307 I, II und Verzichtsurteile nach § 306, auch dann wenn sie als Teilurteile ergehen (Zö/Herget § 708 Rz 3). Von Nr 2 erfasst werden echte Versäumnisurteile gegen den Kl und den Beklagten in allen Instanzen, ebenso das sog zweite Versäumnisurteil nach § 345. Dagegen werden sog unechte Versäumnisurteile von der Vorschrift nicht erfasst. Auch fällt ein streitiges Urt, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, das mittels Einspruchs angegriffen wurde (§ 709 S 3), nicht hierunter. Beim Urt nach Lage der Akten ist § 708 Nr 2 nur bei der Säumnis einer Partei nach § 331a anzuwenden, nicht dagegen, wenn beide Parteien iSv § 251a säumig sind (Musielak/Voit/Lackmann § 708 Rz 5). Die Verwerfung des Einspruchs nach § 341 I behandelt Nr 3. Sie erfolgt nach § 341 II durch Urt.
2. Nr 4 und 5.
Rn 5
Entscheidungen in besonderen Verfahrensarten betreffen die Nr 4 und 5, nämlich stattgebende und abweisende Urteile im Urkunden- (§ 592), Wechsel- (§ 602) und Scheckprozess (§ 605a), sowie solche nach § 597 II. Nr 5 ergänzt Nr 4 insofern, als Urteile im Nachverfahren, durch die ein Vorbehaltsurteil in den Verfahrensarten der Nr 4 bestätigt wird, für vorläufig vollstreckbar erklärt werden können (Fischer JuS 14, 224, 225). Praktisch bezieht sich das nur auf die weiteren Kosten, weil die Vollstreckung aus einem Vorbehaltsurteil keine Sicherheitsleistung voraussetzt.
3. Nr 6.
Rn 6
Die Vorschrift erfasst Urteile, die einen Arrest...