I. Ratio.
Rn 5
Es war bereits die Rede davon, dass der Gläubiger, der aus einem Titel vollstreckt, im Vollstreckungsrecht rechtmäßig handelt, solange der Titel sich im Rechtsmittelzug nicht als materiell unberechtigt erweist und daher aufgehoben oder abgeändert wird (s Rn 1). In diesem Fall realisiert sich jedoch die Gefahr, die er bei der Vollstreckung trägt. Er muss nun die Folgen des unrechtmäßigen Vollstreckungszugriffs tragen und die Vermögensnachteile, die dem Schuldner dadurch entstanden sind, schadensersatzrechtlich kompensieren (BGH NJW 85, 128; BGHZ 69, 373, 378 = NJW 78, 163; BGHZ 54, 76, 80 = NJW 70, 1459). Nachdem das Urt, das Grundlage der Vollstreckung war, aufgehoben oder abgeändert wurde, dient der Schadensersatzanspruch nach Abs 2 ähnl wie der Kostenerstattungsanspruch nach § 788 III (BGH MDR 11, 814 [BGH 05.05.2011 - VII ZB 39/10]) dazu, die im Wege der Vollstreckung bewirkte Vermögensverschiebung möglichst rasch wieder rückgängig zu machen (BGH MDR 07, 1041 [BGH 08.03.2007 - VII ZR 101/05]), und zwar ohne Rücksicht auf die Rechtskraft der Entscheidung. Die Leistung oder der vollstreckte Betrag soll zeitnah wieder an den Schuldner zurückgeführt werden (BGH MDR 09, 290 [BGH 20.11.2008 - IX ZR 139/07]; BGH NJW 97, 2601, 2602 [BGH 03.07.1997 - IX ZR 122/96]). Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich bei Abs 2 um einen materiell-rechtlichen Ersatzanspruch (jedoch nicht um eine Entgeltforderung iSv § 288 II BGB, KG ZMR 18, 306), der Elemente einer verschuldensunabhängigen Gefährdungs- und Risikohaftung aufweist (BGH NJW 06, 443; BGHZ 85, 110, 113 f = NJW 83, 232; BGH NJW 85, 128; s Rn 2): Der Gläubiger, der mit der Vollstreckung ein zunächst rechtmäßiges, aber die Vermögensinteressen des Schuldners gefährdendes Verhalten an den Tag gelegt hat, muss die Nachteile, die dem Schuldner dadurch entstanden sind, ausgleichen, wenn sich später herausstellt, dass der Zugriff nicht rechtens war. Freilich trägt der Schuldner nun das Risiko, dass er den Schadensersatz dem Gläubiger selbst nach Abs 2, 3 wird zurückerstatten müssen, wenn die aufhebende oder abändernde Entscheidung ihrerseits keinen Bestand hat und die frühere wiederhergestellt wird (Musielak/Voit/Lackmann § 717 Rz 4).
II. Anwendbarkeit.
1. Direkte und kraft gesetzlicher Inbezugnahme.
Rn 6
Unmittelbar gilt Abs 2 im Fall der Aufhebung oder Abänderung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils oder Vollstreckungsbescheids nach § 700 I in der Sache. Anders als Abs 1 erfasst Abs 2 nicht die Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 718. In Bezug genommen wird § 717 in den Fällen des § 302 IV, §§ 600 II, 302 IV, § 945, § 1065 II 2 sowie in einigen Ausführungsvorschriften zu multi- oder bilateralen Vollstreckungsabkommen (zB EuGVÜ; AVAG; zu einem Fall analoger Anwendung des § 717 II Schlesw SchlHA 09, 328).
2. Entsprechende.
Rn 7
Eine analoge Anwendung von § 717 II ist anerkannt für vollstreckbare Beschlüsse nach § 794 I Nr 2a, 3 (BGH NJW 06, 443), für Kostenfestsetzungsbeschlüsse (BGH NJW-RR 14, 1268 mAnm Hess EWiR 18/2014, 595; Graeber NZI 14, 147; Smid ZIP 14, 1714, 1719; Damrau ZAP Fach 13, 1937), im Fall des Wegfalls eines rechtskräftigen, aber durch den Bestand eines Zwischen- oder Vorbehaltsurteils aufschiebend bedingten Endurteils (MüKoZPO/Götz § 717 Rz 11, s Rn 4), der Aufhebung einer Vollstreckungsklausel auf Grundlage der §§ 732, 768 (Musielak/Voit/Lackmann § 717 Rz 6) sowie der Abänderung eines Urteils im Berichtigungsverfahren nach § 319, das die Aufhebung ersetzt und bei Klauselerlass vorhandene Einwendungen zur Geltung bringt (anders als bei der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767, bei der später entstandene Einwendungen berücksichtigt werden).
Rn 8
Eine analoge Anwendung von Abs 2 scheidet immer dann aus, wenn sich aus der ratio der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften ergibt, dass das mit der Vollstreckung verbundene Risiko dem Gläubiger ausnahmsweise nicht auferlegt werden und er also dabei nicht auf eigene Gefahr handeln soll. Das ist der Fall bei rechtskräftigen Titeln, die wegen Wiedereinsetzung in das oder der Wiederaufnahme des Verfahrens sowie einer erfolgreichen Rüge nach § 321a keinen dauerhaften Bestand haben. In diesen Fällen musste der Gläubiger nicht damit rechnen, dass sich die Vollstreckung im Nachhinein als nicht berechtigt erweisen könnte. Bei erfolgreichen Vollstreckungsabwehr- (§ 767) und Drittwiderspruchklagen (§ 771) soll sich der Gläubiger ebenso wenig der Haftung aus § 717 II ausgesetzt sehen wie bei einstweiligen Anordnungen nach § 127a (MüKoZPO/Götz § 717 Rz 12), bei einer unberechtigten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung (hM: BGHZ 95, 10, 13 f = NJW 85, 1074; aA LG Frankf MDR 80, 409), einer freiwilligen Leistung aufgrund eines nicht titulierten Leistungsverlangens (BGH NJW 76, 2162 [BGH 22.06.1976 - X ZR 44/74]; Köln NJW 96, 1290, 1292 [OLG Köln 31.05.1995 - 2 U 182/94]) sowie bei der Vollstreckung aus einem formell rechtskräftigen Urt, das den inhaltlichen Bestimmtheitserfordernissen nicht genügt (BGH Beschl v 12.3.09 – IX ZR 208...