I. Formeller.
Rn 3
Neben den Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 707 (s § 707 Rn 6 ff) ist eine statthafte, nicht jedoch zwingend zulässige Berufung erforderlich, die durch den Eingang der Berufungsschrift bei Gericht tatsächlich eingelegt worden ist. Vorher kommt eine Entscheidung nicht in Betracht, weil die Erfolgsaussichten der Berufung nicht geprüft werden können (Saarbr MDR 97, 1157 [OLG Saarbrücken 24.07.1997 - 1 U 605/97 - 124]). Allein der Antrag auf PKH für eine in Aussicht genommene Berufung genügt insoweit nicht (Zö/Herget § 719 Rz 3). Das mit der Berufung angefochtene Urt muss für vorläufig vollstreckbar erklärt worden sein, was bei allen Urteilen der Fall ist, deren Rechtskraft nicht bereits mit der Verkündung eintritt (s § 705 Rn 2). Das Urt muss nicht zwingend einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben, weil dem Schuldner nicht abverlangt werden kann, mit vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen die Vollstreckungsfähigkeit abklären zu lassen, während er den Titel selbst ja schon mit der Berufung angefochten hat (str; St/J/Münzberg § 719 Rz 2; aA Zö/Herget § 719 Rz 1). Ob das Urt ohne oder gegen Sicherheitsleistung vollstreckbar ist, ist nur iRd Begründetheit des Einstellungsantrags von Bedeutung (MüKoZPO/Götz § 719 Rz 3). In Patentsachen ist § 719 I (und nicht § 719 II) im Revisionsverfahren und im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (analog) anwendbar, wenn das BPatG das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren für nichtig erklärt hat (BGHZ 202, 288; dazu Bornhäusser GRUR 15, 331).
II. Materieller.
Rn 4
Hat die Berufung Aussicht auf Erfolg, muss das zweitinstanzliche Gericht in eine Interessensabwägung darüber eintreten, ob die Zwangsvollstreckung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs und der wirtschaftlichen Auswirkungen ausnahmsweise einzustellen ist (Hamm FamRZ 11, 1317). Darin ist einzustellen, dass sich die Schutzinteressen des Schuldners idR darin erschöpfen, dass der Gläubiger vor dem Eintritt in die Vollstreckung Sicherheit leistet (Köln NJW-RR 87, 189 [OLG Köln 08.09.1986 - 2 U 79/86]) oder eine Abwendungsbefugnis nach §§ 709, 711 besteht. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt daher nur in dem Ausnahmefall in Betracht, dass bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei summarischer Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urt voraussichtlich keinen Bestand hat (Karlsr GRUR-RR 15, 326; BeckRS 14, 21839; Ddorf GRUR-RR 10, 122, 123), zB bei Verurteilung eines Schuldners über die Höhe seines Anerkenntnisses hinaus (Frankf FamRZ 10, 1370) und dem Schuldner ein über die üblichen Vollstreckungswirkungen hinausgehender Vermögensschaden droht (Zweibr MDR 97, 1157 [OLG Saarbrücken 24.07.1997 - 1 U 605/97 - 124]; Hambg NJW-RR 90, 1024 [OLG Hamburg 23.10.1989 - 4 U 146/89]), zB ein Miet- und Nutzungsausfallschaden, der durch die Verzögerung der Vollstreckung aus einem Räumungstitel entsteht (Hamm ZMR 10, 178). Sonst überwiegen die Gläubigerinteressen an der Durchführung der Vollstreckung (Ddorf GRURPrax 16, 83; WuW 16, 442; Karlsr GRURPrax 16, 560). Ob der Schuldner es versäumt hat, in der 1. Instanz einen Schutzantrag nach § 712 zu stellen, spielt für die Einstellungsentscheidung nach §§ 707, 719 keine Rolle (hM; Hambg MDR 13, 674 [OLG Hamburg 21.12.2012 - 3 U 96/12]; KG MDR 05, 117 [KG Berlin 11.10.2004 - 12 U 198/04]; KG MDR 00, 1455 [KG Berlin 06.06.2000 - 5 U 1112/00]; Jena MDR 02, 289 [OLG Jena 26.10.2001 - 4 U 234/01]; aA Frankf v 15.6.15 – 6 UF 1015/15, Rz 3 – juris; NJW 84, 2955), insb nicht, wenn es um Räumung geht (ThoPu/Seiler § 719 Rz 3). Die Anträge nach §§ 707, 719 und § 712 stehen vielmehr aufgrund ihrer verschiedenen Zielrichtungen und Voraussetzungen – nicht zu ersetzender Nachteil bei § 712, Erfolgsaussicht der Berufung sowie Schaden als bloße Modalität der Einstellung nach § 719 – in keinem sachlogischen Verhältnis und sind daher unabhängig voneinander zu prüfen (Karlsr GRUR-RR 10, 120, 121; KG NJOZ 05, 771 f; Ddorf NJW-RR 87, 702; Musielak/Voit/Lackmann § 719 Rz 3; MüKoZPO/Götz § 719 Rz 6).