I. Materieller.
1. Räumung von Wohnraum.
Rn 3
Der Titel muss auf Räumung von Wohnraum gerichtet sein. Darunter sind Räume zu verstehen, die vom Schuldner oder seinen Angehörigen als unmittelbare Besitzer ständig und nicht ausschließlich zu gewerblichen Zwecken (s Rn 2) bewohnt werden. Dazu gehört auch das Frauenhaus (LG Lübeck ZMR 93, 223). Entscheidend sind die tatsächlichen Umstände der Nutzung, nicht die schuldrechtlichen Verhältnisse oder die ursprüngliche Widmung des Wohnraums. Wohnraum sind auch die Nebenräume der Wohnung (Keller, Abstellraum, Waschküche, Gartenhaus), jedoch nicht die zugehörige Garage (MüKoZPO/Götz § 721 Rz 8). Als Wohnraum iSv § 721 gilt auch ein Grundstück, auf dem sich Wohnraum befindet, sofern es geräumt und herausgegeben werden muss (Musielak/Voit/Lackmann § 721 Rz 3), ebenso ein unbebautes Grundstück, auf dem der Mieter selbst Wohnraum geschaffen hat (Hambg ZMR 98, 28, 30). Gewerberäume sind kein Wohnraum, ebenso wenig Räume, die an Fremde vermietet werden (Zö/Seibel § 721 Rz 2), wohl aber wenn die tatsächliche Wohnnutzung Gegenstand eines gewerblichen Mietverhältnisses ist (KG BeckRS 13, 03464 für ein Wohnheim für betreuungsbedürftige Menschen). Bei der Behandlung von sog Mischmietverhältnissen gelten folgende Erwägungen (Reismann GuT 11, 133, 135): Nutzt der Mieter die ihm überlassenen Räume teils zu Wohnzwecken teils aber auch gewerblich, ist § 721 anwendbar, wenn sich die beiden Nutzungen ökonomisch nicht voneinander trennen lassen. Denn der Schuldner wird nicht dadurch weniger schutzwürdig, dass er das Objekt auch gewerblich nutzt. Ob der tatsächliche Schwerpunkt bei einer nicht trennbaren Mischnutzung auf der gewerblichen Tätigkeit liegt, ist nicht entscheidend (LG Hamburg NJW-RR 93, 662 [LG Hamburg 30.12.1992 - 316 T 100/92]; LG Mannheim NJW-RR 93, 713 [LG Mannheim 26.11.1992 - 4 T 314/92]; MüKoZPO/Götz § 721 Rz 8; aA Zö/Seibel § 721 Rz 2). Lassen sich die Nutzungsarten dagegen wirtschaftlich separieren, kommt § 721 nur für den Wohnraum zur Anwendung (St/J/Münzberg § 721 Rz 8). Der Mieter, der in den Räumen ein Wohn- und Pflegeheim betreibt, kann eine Räumungsfrist nach § 721 nicht beanspruchen. Die Heimbewohner können ihre Interessen selbst wahren, da der Vermieter auch gegen sie einen Räumungstitel erwirken muss (KG MDR 16, 1170 [KG Berlin 18.07.2016 - 8 U 111/16]).
2. Interessenabwägung.
a) Grundsätze.
Rn 4
Entscheidungen über die Gewährung und die Dauer der Räumungsfrist nach § 721 stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, das die gegenläufigen Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen hat (BayObLG ZMR 84, 23; LG Mannheim NJW-RR 93, 713 [LG Mannheim 26.11.1992 - 4 T 314/92]): Der Gläubiger möchte über den ihm gehörenden Wohnraum möglichst rasch wieder verfügen können, der Schuldner muss vor Obdachlosigkeit bewahrt werden. Entscheidend sind stets die Gegebenheiten des konkreten Falls. Jedoch gibt es ermessensleitende Kriterien. In die Abwägung mit einzustellen sind die objektiven Umstände, namentlich die Modalitäten des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses, sowie die Räumungsurteilsgründe, des Weiteren die Interessen der Parteien und die Chancen, eine Ersatzwohnung zu finden.
b) Gläubigerbezogene Faktoren.
Rn 5
Zugunsten des Gläubigers fällt die Interessenabwägung idR aus, wenn sich der Schuldner im Nutzungsverhältnis ein pflichtwidriges Verhalten hat zuschulden kommen lassen, zuvörderst eines, das die Kündigung erlaubt (MüKoZPO/Götz § 721 Rz 10). Nur ausnahmsweise kann eine Räumungsfrist eingeräumt werden bei vormals unberechtigtem Besitz des Schuldners (LG Mannheim WuM 65, 121), bei Störung des Hausfriedens (LG Münster WuM 91, 563 f) und Missachtung der Hausordnung (LG Wuppertal MDR 68, 52), bei verbalen oder tätlichen Angriffen gegen den Vermieter oder andere Mieter (Musielak/Voit/Lackmann § 721 Rz 4), bei Zahlungsverzug allerdings nur, wenn zukünftig eine Zahlung zu erwarten ist (Stuttg NJW-RR 07, 15 [OLG Stuttgart 07.06.2006 - 13 U 89/06]). Im Fall des Zahlungsverzugs ist es möglich, die rechtzeitige Zahlung der Nutzungsentschädigung als Bedingung mit der Räumungsfrist zu verknüpfen (LG Mainz WuM 97, 233). Die Gewährung einer Räumungsfrist kommt in Betracht, wenn der Mieter zur Zahlung (einschließlich der Entschädigung nach § 546a BGB: Stuttg NZM 06, 880) bereit und in der Lage ist, den Mietzinsrückstand ggf durch Ratenzahlung zu vermindern (MüKoZPO/Götz § 721 Rz 10). Ein dringender Eigenbedarf des Gläubigers kann hingegen gegen die Einräumung einer Räumungsfrist für den Schuldner sprechen (LG Hamburg WuM 91, 38 [LG Hamburg 25.10.1990 - 307 S 231/90]), ebenso die Zeit, die seit der Kündigung vergangen ist, oder die fehlenden Bemühungen des Schuldners, eine neue Wohnung zu finden (s Rn 6; Musielak/Voit/Lackmann § 721 Rz 6).
c) Schuldnerbezogene Faktoren.
Rn 6
Zugunsten des Schuldners wirken sich folgende Faktoren aus, die in seiner Person begründet sind: sein Alter (LG Essen WuM 68, 132, 133), körperlicher Zustand (Behinderung: LG München WuM 89, 412; Schwangerschaft: WuM 68, 51), Familienverhältnisse (Zahl der Kinder: LG Heilbronn ZMR 66, 278), das sonstige soziale Umfeld (LG Mannheim WuM 9...