I. Anwendbarkeit.
Rn 2
Die Zwangsvollstreckung darf nicht insgesamt untersagt werden. § 765a ermöglicht es somit nicht, die Bindung der Vollstreckungsorgane an den Titel überhaupt zu beseitigen. Einwendungen gegen den titulierten Anspruch sind im Weg der Nichtigkeits- u Restitutionsklage nach §§ 579, 580, der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 und – bei erschlichenem bzw als unrichtig erkanntem Urt – durch Klage auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung und auf Herausgabe des Titels nach Deliktsgrundsätzen (vgl § 767 Rn 13) geltend zu machen.
Rn 3
§ 765a gilt für sämtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, so auch die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen (BGH NJW 06, 505, 506 [BGH 24.11.2005 - V ZB 99/05]). Die Vorschrift gilt auch für Vollstreckungsmaßnahmen, die das Prozessgericht zur Erzwingung vertretbarer oder unvertretbarer Handlungen gem §§ 887, 888 oder der Unterlassung oder Duldung der Vornahme einer Handlung gem § 890 erlässt.
Rn 4
§ 4 InsO verweist auf die zivilprozessualen Vorschriften. Nach der Rspr des BGH ist auch im eröffneten Insolvenzverfahren Vollstreckungsschutz nach § 765a zu gewähren; § 765a ist jedenfalls auf Vollstreckungsmaßnahmen anzuwenden, die der Verwalter gem § 148 II InsO aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses gegen den Insolvenzschuldner, der eine natürliche Person ist, betreibt. Die Anwendbarkeit des § 765a ist für den Fall bejaht worden, dass Rechte des Schuldners in insolvenzuntypischer Weise schwerwiegend beeinträchtigt werden; der Schuldner muss dann die Möglichkeit haben, gem § 765a Maßnahmen abzuwehren, die auch unter den ganz besonderen Umständen des Insolvenzverfahrens nicht hinnehmbar sind (BGH WM 19, 686, 687, 688). Ein auf die Suizidgefährdung des Schuldners oder naher Angehöriger gestützter Vollstreckungsschutzantrag im Insolvenzverfahren ist daher zulässig (BGH NJW 09, 78, 79; WM 09, 358, 359; WuM 09, 314, 315).
Rn 5
Bei der Zwangsversteigerung zur Aufhebung einer Gemeinschaft gilt § 765a entspr (BGH NJW 07, 3430, 3431, 3432 [BGH 22.03.2007 - V ZB 152/06] mwN; abl MüKoZPO/Heßler Rz 18; Schuschke/Walker/Walker Rz 5). Ein rechtskräftiger Zuschlagbeschluss kann nicht nach § 765a aufgehoben werden (BGH MDR 10, 50, 51 [BGH 01.10.2009 - V ZB 37/09]).
II. Subsidiarität.
Rn 6
Nur ganz besondere Umstände rechtfertigen eine Maßnahme gem § 765a I 1. § 765a erweist sich damit als subsidiär; die Gewährung von Vollstreckungsschutz kommt nach § 765a dann nicht in Betracht, wenn der Schuldner die Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach anderen Vorschriften erlangen kann (BGH NJW 07, 2703, 2704 [BGH 04.07.2007 - VII ZB 15/07]). Kann der Schuldner mögliche Anträge, insb nach den §§ 707, 719, 721, 732 II, 794a, noch stellen, scheidet eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a aus. Sind die Fristen für derartige Anträge versäumt oder ist es unterlassen worden, die Voraussetzungen für derartige Anträge zu schaffen, dann kann Vollstreckungsschutz nach § 765a dennoch gewährt werden. Dass Anträge, mit denen ein gleiches Ergebnis hätte erreicht werden können, nicht gestellt worden sind, kann allenfalls bei der Abwägung zu Ungunsten des Schuldners berücksichtigt werden (MüKoZPO/Heßler Rz 59, 75; Musielak/Voit/Lackmann Rz 15, 21). Diese Problematik stellt sich insb iRd § 719 II; ein entspr Vollstreckungsschutzantrag in der dritten Instanz kann nach der Rspr des BGH nur dann erfolgversprechend gestellt werden, wenn in der Vorinstanz ein mit Begründung versehener Antrag nach § 712 gestellt worden ist (BGH LM § 712 Nr 1; NJW-RR 05, 147, 148 [BGH 29.07.2004 - III ZR 263/04] ua). Erweist sich unter diesen Voraussetzungen ein Einstellungsantrag nach § 719 II als unbegründet, sind die Voraussetzungen des § 765a zu prüfen.
Rn 7
Das Bestehen gesetzlich normierter Tatbestände, die den Schutz des Schuldners im Vollstreckungsverfahren regeln, schließt die Anwendbarkeit von § 765a nicht aus. Vollstreckungsschutz kann auch dann gewährt werden, wenn ein solcher nach den Spezialvorschriften nicht möglich ist (BGH NJW 07, 2703, 2704 [BGH 04.07.2007 - VII ZB 15/07]; 08, 1678 [BGH 27.03.2008 - VII ZB 32/07]; aA MüKoZPO/Heßler Rz 13). Mit § 765a können somit Regelungen getroffen werden, die über die in den ausdrücklichen Pfändungsschutzbestimmungen genannten, wie bspw §§ 803, 811, 812, 813a, 813b, 817a, 850 ff, hinausgehen. Bei der erforderlichen Interessenabwägung sind die in den gesetzlichen Pfändungsschutzbestimmungen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen zu berücksichtigen.