Rn 8
§ 765a ist eng auszulegende Ausnahmevorschrift (BGH NJW 04, 3635, 3636 [BGH 25.06.2004 - IXa ZB 267/03]). Im Einzelfall muss das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem für den Schuldner untragbaren Ergebnis führen. Ob dies der Fall ist, kann nur anhand einer umfassenden, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Würdigung der Gesamtumstände erfolgen; für ein Ermessen darf kein Raum sein (BGHZ 44, 138, 142, 143; NJW 07, 3430, 3432 [BGH 22.03.2007 - V ZB 152/06]). Zu beachten sind die Grundrechte beider Parteien (BVerfGE 52, 214, 219 ff; NJW 07, 2910, 2911; BGH WM 11, 1604, 1605). Der Gläubiger hat ein Recht auf Befriedigung; unterbleibt bspw eine Räumungsvollstreckung, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums gem Art 14 I GG eingegriffen; zudem wird sein verfassungsrechtlicher Anspruch auf wirksamen Rechtschutz seines Eigentums, wie er sich aus Art 19 IV GG ergibt, beeinträchtigt. Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, ordnungsgemäß titulierte Ansprüche notfalls auch mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen. Dem Schuldner dagegen steht das Grundrecht aus Art 2 II 1 GG zu. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die Interessen des Schuldners ersichtlich schwerer wiegen als die Belange des Gläubigers, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme zu dienen hat, dann kann die Einleitung oder Fortsetzung der Vollstreckungsmaßnahme das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art 2 II 1 GG verletzen (BVerfGE 52, 214, 219, 220; 07, 2910, 2911; BGHZ 163, 66, 72, 74; NJW-RR 11, 1000 [BGH 17.02.2011 - V ZB 205/10]). Bei der Abwägung kommt den Interessen des Gläubigers der Vorrang zu; das Interesse des Schuldners an der Unterlassung oder Einstellung der Vollstreckungsmaßnahme muss stärker sein als das Interesse des Gläubigers an der ihm grds zustehenden Durchsetzung seines Rechts (St/J/Münzberg Rz 7; Musielak/Voit/Lackmann Rz 9). Der Staat verbietet dem Gläubiger die Selbsthilfe (BVerfG NJW 83, 559). Er ist daher in besonderer Weise schutzbedürftig.
Rn 9
Auf Interessen Dritter kann sich der Schuldner nicht berufen; die Belange von Angehörigen und sonstigen Personen, die dem Schutzbereich des Schuldners angehören, wie bspw die Belange von Pflegekindern, sind jedoch in die wertende Betrachtung als den Schuldner selbst betreffend mit einzubeziehen (BVerfG NJW-RR 05, 936, 937; BGHZ 136, 66, 72; NJW 07, 3430, 3432).