Rn 12
Der Anwendungsbereich der Norm wird durch die Aufzählung verschiedener Gerichte und durch den Begriff der Vertretung beschrieben. Die Einzelheiten der Reichweite des Anwaltszwanges ergeben sich aus Art und Umfang der diesen Gerichten zugewiesenen Verfahren sowie aus der Inhaltsbestimmung des Begriffs der Vertretung, der durch die Regelung in Abs 3 eine Begrenzung erfährt.
I. Gerichte mit Anwaltszwang.
Rn 13
Der Anwaltszwang gilt vor den in Abs 1 aufgeführten Gerichten. Vor dem LG kann jeder allgemein zugelassene Rechtsanwalt auftreten, egal wo er residiert. Dies gilt auch, wenn das LG als Berufungsgericht tätig wird. Der Anwaltszwang besteht auch in den dem LG zugewiesenen Verfahren nach § 13 StrEG (BGH MDR 93, 766 [BGH 07.04.1993 - XII ZR 266/91]), nach § 140 I MarkenG und nach § 38 SortenSchG und in den Baulandsachen (§ 220 I BBauG; BGH NJW-RR 94, 1021). Auch vor dem OLG kann jeder allgemein zugelassene Rechtsanwalt auftreten. Nur von dem BGH bedarf es einer besonderen Zulassung des Rechtsanwalts, was verfassungsgemäß ist (BVerfG NJW 02, 3765). Diese besondere Zulassung gilt auch für die Rechtsbeschwerde (BGH FamRZ 05, 1165) einschließlich der Anhörungsrüge (BGH Beschl v 16.7.09 – I ZB 41/09), nicht jedoch in Disziplinarsachen (BGH MDR 89, 257). Für den im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gestellten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gilt der Anwaltszwang (BGH Beschl v 12.8.09 – XII ZA 30/09). Vor der allgemeinen Zivilabteilung des Amtsgerichts besteht kein Anwaltszwang, in Familiensachen gilt § 114 FamFG. Für das arbeitsgerichtliche Verfahren gelten die Sonderregelungen in § 11 ArbGG. Danach gilt vor dem ArbG kein Anwaltszwang, vor dem LAG und dem BAG sind neben Rechtsanwälten auch andere Personen als Prozessbevollmächtigter zugelassen (§ 11 IV, II Nr 4, 5 ArbGG).
II. Umfang des Anwaltszwangs.
1. Allgemeines.
Rn 14
Der Anwaltszwang gilt grds für das gesamte Verfahren vor den genannten Gerichten (Ausnahme Abs 3), unabhängig davon, ob das Kollegialgericht oder der Einzelrichter den Prozess führt. Er erstreckt sich auf alle Prozesshandlungen, die schriftlich oder mündlich innerhalb oder außerhalb der mündlichen Verhandlung vor oder ggü dem Gericht vorgenommen werden (Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 14; Zö/Althammer § 78 Rz 16). Der Anwaltszwang erstreckt sich in diesem Rahmen auch auf materiell-rechtliche Erklärungen, die Bestandteil einer Prozesshandlung sind (zB Prozessvergleich). Materiell-rechtliche Erklärungen, die außerhalb des Prozesses abgegeben werden, unterliegen auch dann nicht dem Anwaltszwang, wenn sie Einfluss auf das gerichtliche Verfahren haben (BGH NJW 84, 805 [BGH 14.11.1983 - IVb ZR 1/82]; NJW-RR 89, 802). Sie können aber nur durch einen Rechtsanwalt in den Prozess eingeführt werden (St/J/Jacoby § 78 Rz 28). Daher kann ohne Anwalt vereinbart werden, die Klage oder das Rechtsmittel zurückzunehmen (BGH NJW 85, 2335 [BGH 06.03.1985 - VIII ZR 123/84]; NJW-RR 89, 802 [BGH 13.02.1989 - II ZR 110/88]) oder auf dieses zu verzichten, oder eine Abrede über eine Prorogation (St/J/Jacoby § 78 Rz 31; Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 14) oder eine Sprungrevision (BGH MDR 86, 313) getroffen werden. Für die Entgegennahme von Prozesshandlungen gilt der Anwaltszwang nur innerhalb der mündlichen Verhandlung (St/J/Jacoby § 78 Rz 27; Zö/Althammer § 78 Rz 17). Außerhalb der mündlichen Verhandlung können solche Erklärungen auch ggü der Partei selbst abgegeben werden. Dies gilt aber nicht für Zustellungen innerhalb eines anhängigen Rechtsstreits (§ 172 I), diese sind an einen postulationsfähigen Anwalt zu richten (§ 172 II 1).
2. Einzelne Prozesshandlungen.
Rn 15
Der Prozessvergleich unterliegt dem Anwaltszwang (Schleswig MDR 99, 252 [OLG Schleswig 09.09.1998 - 12 U 56/95]) auch dann, wenn er vor dem Einzelrichter geschlossen wird (str; Zö/Althammer § 78 Rz 18; Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 15). Ob ein Dritter, der einem Prozessvergleich beitreten will, dem Anwaltszwang unterliegt, ist streitig (dafür: Köln AnwBl 82, 113, 114; MüKoZPO/Toussaint § 78 Rz 34, 49; MüKoZPO/Wolfsteiner § 794 Rz 31; dagegen: BGH NJW 83, 1433 [BGH 16.12.1982 - VII ZR 55/82]; Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 15; Musielak/Voit/Lackmann § 794 Rz 8; Zö/Althammer § 78 Rz 18; Zö/Stöber § 794 Rz 7). Für den Anwaltszwang spricht, dass § 794 I Nr 1 die Postulationsfähigkeit nicht regelt, der gerichtliche Vergleich anders als der außergerichtliche Vollstreckungstitel gegen den Dritten ist und Vollstreckungstitel durch eine Prozesshandlung geschaffen werden, wie dies für die Vollstreckungsunterwerfung (§ 794 I Nr 5) anerkannt ist. Die Gegenansicht hat allerdings den Wortlaut des Gesetzes für sich, das den Anwaltszwang aus Gründen der Rechtssicherheit nicht an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte, sondern an formale Kriterien (BGH NJW 00, 3356, 3357 [BGH 20.06.2000 - X ZB 11/00]) wie die Parteistellung knüpft, die durch die Beteiligung am Vergleich nicht erfüllt werden, und dass Vollstreckungstitel nach § 794 I Nr 5 auch sonst ohne Anwalt geschaffen werden können. Allerdings unterwirft auch diese Ansicht den Widerruf des Prozessvergleichs durch den Dri...