I. Allgemeines.
Rn 26
Der in Abs 1 angeordnete Vertretungszwang gilt in erster Linie für die Parteien des Rechtsstreits, wobei an die formale Parteistellung angeknüpft wird. Eine evtl vorhandene eigene Rechtskunde der Partei ist ohne Bedeutung (St/J/Jacoby § 78 Rz 21; MüKoZPO/Toussaint § 78 Rz 23). Darüber hinaus ergreift der Anwaltszwang aber auch die anderen Personen, die neben oder zusammen mit den Parteien im Rechtsstreit auftreten und handeln. Deshalb müssen sich auch der Nebenintervenient, der Streitverkündete nach seinem Beitritt (§ 74 I) sowie die in §§ 75–77 genannten Personen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (BGH NJW-RR 05, 1237 [BGH 11.05.2005 - XII ZB 242/03]). Bei mehreren Parteien (Parteienhäufung) muss sich jede einzelne vertreten lassen. Dies gilt unabhängig von der Vertretungsfiktion nach § 62 I (Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 13). Für den Anwendungsbereich ist auch ohne Bedeutung, ob es sich um eine natürliche oder eine juristische Person handelt.
II. Öffentlich-rechtliche Körperschaften.
Rn 27
Behörden und juristische Personen des Öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen gebildeten Zusammenschlüsse (Körperschaften, Anstalten und Stiftungen einschließlich öffentlich-rechtlicher Verbände) müssen sich grds durch einen zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen (MüKoZPO/Toussaint § 78 Rz 24; Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 21, 22). Für diese Personen gilt jedoch nach Abs 2 eine Ausnahme für die Nichtzulassungsbeschwerde. In diesem Verfahren können sie sich durch eigene Beschäftigte mit der Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen mit dieser Befähigung vertreten lassen. Diese Personen sind auch befugt, sich durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen (BGH NJW 93, 1208 [BGH 03.02.1993 - XII ZB 141/92]).
III. Sonstige Personen.
Rn 28
Im Verfahren der Beschwerde oder der Rechtsbeschwerde nach § 574 iVm § 127 III ist kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die in der Person des Bezirksrevisors handelnde Staatskasse postulationsfähig, nach der Neufassung der Vorschrift allerdings nur, wenn diese die Befähigung zum Richteramt hat, denn nach der Wertung des Gesetzgebers bedürfen behördliche Vertreter vor dem BGH ausnahmslos der Befähigung zum Richteramt (BGH FamRZ 10, 1544 Rz 9). Der gesetzliche oder gewillkürte Vertreter einer Partei ist nicht selbst Partei und deshalb dem Anwaltszwang nicht unterworfen. Auch der Zeuge unterliegt nicht dem Anwaltszwang. Ausgenommen sind auch Personen, die bspw durch eine falsche Zustellung versehentlich in dem Prozess hineingezogen wurden (Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 13).
IV. Rechtsanwälte.
Rn 29
Rechtsanwälte, die beim Prozessgericht nach I und II postulationsfähig sind, können sich nach IV selbst vertreten. Deshalb kann sich weder ein Patentanwalt (§ 4 II PAO) noch ein BGH-Anwalt (§ 172 I 1 BRAO) vor dem LG oder OLG selbst vertreten. Entgegen dem irreführenden Wortlaut entsteht jedoch kein Vertretungsverhältnis des Anwalts mit sich selbst, der Regelungsgehalt beschränkt sich auf die Befreiung von der sich aus § 78 I 1 ergebenden Verpflichtung; prozessual ist allein seine Stellung als Rechtsanwalt mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten maßgeblich, weshalb auch die schon nach dem Wortlaut uneingeschränkte Nutzungspflicht aus § 130d gilt (BGH FamRZ 23, 719 Rz 17 zu § 14b FamFG; BFH NJW 22, 2951 Rz 3 zu § 52a FGO; BGH NJW 23, 525 [BGH 24.11.2022 - IX ZB 11/22] Rz 14 f für den anwaltlichen Insolvenzverwalter). Da es einem Rechtsanwalt unbenommen ist, davon keinen Gebrauch zu machen und sich vertreten zu lassen, muss er deutlich machen, dass er diese Befugnis in Anspruch nimmt, wozu idR genügt, dass er selbst handelt. Das Recht der Selbstvertretung gilt auch, soweit er als Partei kraft Amtes auftritt, zB als Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker oder Pfleger. Eine Ausdehnung dieser Ausnahme auf andere Volljuristen ist ausgeschlossen (Zö/Althammer § 78 Rz 37; Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 34). Macht der Anwalt von seinem Selbstvertretungsrecht Gebrauch, ist er im Prozess wie jeder andere Rechtsanwalt zu behandeln (BGH NJW-RR 19, 1395 [BGH 12.06.2019 - XII ZB 432/18] Rz 8; MDR 22, 389 [BGH 02.12.2021 - IX ZR 53/21] Rz 8), für ihn gelten die allgemeinen Vorschriften (zum Verlust der Anwaltszulassung s § 86 Rn 5, § 87 Rn 4); besteht ein Vertretungsverbot, kann der Anwalt sich im Anwaltsprozess nicht selbst vertreten (§ 155 IV BRAO). Im Falle der Selbstvertretung gelten auch §§ 239, 244 (BGH MDR 90, 702), nur § 246 I ist nicht anwendbar, das Verfahren wird nach § 244 unterbrochen (KG NJW-RR 08, 142, 143 [KG Berlin 09.07.2007 - 2 W 89/07]; 07, 967 [KG Berlin 27.02.2007 - 27 U 116/06]; BGH Beschl v 8.10.13 – II ZR 269/12 Rz 4). Bestellt sich für den Rechtsanwalt ein Prozessbevollmächtigter, gelten auch insoweit die allgemeinen Regeln, der von seinem Selbstvertretungsrecht keinen Gebrauch machende Anwalt wird wie jede andere Partei behandelt. Der Rechtsanwalt kann schließlich auch neben einem Prozessbevollmächtigten sich selbst vertreten (§ 84), muss dies aber deutlich machen. Da...