Rn 3

Die Partei muss trotz zumutbarer Anstrengungen keinen zu ihrer Vertretung bereiten Anwalt gefunden haben. Welche Bemühungen erforderlich sind, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Wenngleich die Anforderungen im Hinblick auf den Zweck der Regelung nicht überspannt werden dürfen, ist es notwendig, dass die Partei bei einer angemessenen Anzahl von Anwälten nachgefragt hat (BVerwG NVwZ-RR 00, 59 [BVerwG 28.07.1999 - BVerwG 9 B 333/99]). Im Verfahren der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde ist eine Anfrage bei mindestens 4 Anwälten erforderlich (BGH MDR 00, 412; NJW-RR 04, 864 für die Revision; Beschl v 25.1.07 – IX ZR 186/06, Rz 2; Beschl v 16.10.08 – IX ZR 146/08 Rz 3: mehr als 4; Beschl v 28.6.10 – IX ZA 26/10: mindestens 5; ebenso BSG Beschl v 27.11.15 – B 9 V 51/15 B Rz 8). Setzt man die Nachfrage bei 4 Anwälten ins Verhältnis zu der geringen Anzahl an BGH-Anwälten und überträgt diesen Maßstab auf den Zivilprozess 1. und 2. Instanz, dürfte angesichts der großen Zahl allgemein zugelassener Rechtsanwälte eine Anfrage bei mindestens 10 zu fordern sein (so auch München OLGR 93, 186; OVG Lüneburg NJW 05, 3303, 3304: Anfrage bei nur 6 Anwälten nicht ausreichend). Allenfalls in einer Region mit besonders niedriger Anwaltsdichte kann eine geringere Anzahl an Anfragen genügen, wobei zu beachten ist, dass sich die Partei bei der Anwaltssuche nicht auf den Wohnort beschränken darf und eine Suche in einem Umkreis von ca 20–30 km regelmäßig zumutbar sein dürfte. Eine Nachfrage bei sämtlichen am Wohnort oder am Sitz des Gerichts zugelassenen Anwälten ist wegen deren großer Zahl idR nicht notwendig (VGH BW NVwZ-RR 99, 280). Einer geschäftsgewandten Partei ist zuzumuten, sich auch in einer weiter entfernten größeren Stadt um einen Anwalt zu bemühen (OVG Lüneburg NJW 05, 3303, 3304 [OVG Niedersachsen 22.08.2005 - 2 LA 383/05]). Ist die Sache eilbedürftig, können im Einzelfall geringere Anforderungen an die Anwaltssuche gestellt werden.

 

Rn 4

Die Partei darf sich bei ihrer Suche bis zur Grenze der Unzumutbarkeit nicht auf ihr genehme Anwälte (St/J/Jacoby § 78b Rz 6) oder allein auf Fachanwälte beschränken (OVG Münster NJW 03, 2624, 2625; OVG Lüneburg NJW 05, 3303, 3304 [OVG Niedersachsen 22.08.2005 - 2 LA 383/05]). Die Mandatsübernahme darf nicht an der fehlenden Bereitschaft zur Zahlung eines Vorschusses (arg § 78c II; BGH Beschl v 5.7.17 – VII ZR 88/14 Rz 6; MDR 00, 412) oder an der nicht rechtzeitigen Zahlung scheitern (BGH Beschl v 8.9.11 – III ZR 89/11). Ebensowenig kommt eine Bestellung in Betracht, wenn die Übernahme des Mandats daran scheitert, dass die Partei kein Honorar zahlen will, das über den sich aus der maßgeblichen Gebührenordnung ergebenden Gebühren liegt (BFH Beschl v 19.1.04 – X S 19/03 [NV]; OVG Münster NJW 03, 2624 [OVG Nordrhein-Westfalen 05.06.2003 - 9 A 2240/03]). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die vereinbarte Vergütung nicht unangemessen hoch ist und im Rechtsstreit nicht nach § 3a II 1 RVG herabgesetzt werden müsste (BSG Beschl v 16.10.07 – B 6 KA 3/07 S Rz 5). Denn § 78b soll einer leistungsfähigen Partei nicht die Möglichkeit eröffnen, die Rechtsanwaltsvergütung auf die gesetzlichen Gebühren zu begrenzen, nur weil ihr die Bereitschaft fehlt, die für die Übernahme des Mandats geforderten Gebühren zu bezahlen (VGHBW Beschl v 10.1.18 – 4 S 2805/17 Rz 4, 6, 7). Kein Grund für die Beiordnung besteht dann, wenn die Übernahme der Vertretung daran scheitert, dass die Anwälte sich weigerten, eine von der Partei selbst entworfene, ungeeignete Revisionsbegründung in das Verfahren einzuführen (BGH NJW 95, 537; NJW-RR 98, 575; VersR 07, 132; NJW-RR 17, 187; Beschl v 5.7.17 – XII ZR 11/17), sich den rechtlichen Überlegungen der Partei nicht anschließen und diese nicht in den Rechtsstreit einführen wollten (BGH Beschl v 10.10.18 – IV ZR 161/18 Rz 4; Beschl v 25.10.18 – III ZR 121/18 Rz 4; Beschl v 8.12.21 – IV ZR 213/21 Rz 10), die Prozessaussichten schlecht einschätzten (BGH Beschl v 5.7.17 – XII ZR 11/17 Rz 10; NJW 13, 1011; Karlsr Justiz 71, 25) oder die Ablehnung der Mandatsübernahme durch eine Anfrage erst am Tag des Fristablaufs provoziert wurde (BAG Beschl v 25.8.14 – 8 AZN 226/14). Das gleiche gilt bei Kündigung des Mandats ohne zureichenden Grund oder der Veranlassung der Kündigung durch den Anwalt (BGH Beschl v 4.7.13 – V ZR 1/13, BGH NJW 14, 3247), was regelmäßig dann der Fall ist, wenn die Partei die Abfassung von Schriftsätzen nach ihren Vorgaben durchsetzen will (BGH Beschl v 16.9.16 – V ZR 292/14 Rz 4; Beschl v 8.7.20 – V ZR 178/19 Rz 3; BFH Beschl v 9.3.16 – IV S 2/19 Rz 10). Anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die Partei die Beendigung des Mandats nicht zu vertreten hat, was sie darlegen muss (BGH Beschl v 8.2.18 – IX ZR 155/17 Rz 2; FamRZ 20, 1390 Rz 5). Eine Beiordnung kommt nach dem Schutzzweck der Pflegschaft ferner nicht in Betracht, wenn die Partei einen Vormund oder Betreuer hat, der Rechtsanwalt und bei dem Prozessgericht zugelassen ist und d...

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