Rn 15
Prozessvergleiche können wirksam unter einer Bedingung nach § 158 I, II BGB oder einem Rücktritts- bzw Widerrufsvorbehalt abgeschlossen werden (BGHZ 88, 364, 367). In der Vereinbarung eines Widerrufs- bzw Rücktrittsvorbehalts zug einer oder beider Parteien ist im Regelfall eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs zu sehen, es sei denn, ein anderer Wille der Parteien ergäbe sich unmittelbar aus dem Wortlaut des Vergleichs. Die mit dem Vergleich getroffene Verfügung über den Prozessgegenstand wird daher idR erst dann wirksam, wenn die Widerrufsfrist ungenutzt verstrichen ist. Erst dann liegt ein Vollstreckungstitel vor, der mit der Klausel nach § 726 I versehen werden kann (BGHZ 46, 277, 279; NJW 06, 776; BVerwG NJW 93, 2193, 2194). Die Annahme einer Bedingung steht der Wirksamkeit des prozessbeendenden Teils nicht entgegen. Handelt es sich um ein bedingungsfeindliches Geschäft wie die Auflassung, kann ein Widerrufsvorbehalt nicht vereinbart werden (BGH NJW 88, 415, 416 [BGH 24.04.1987 - V ZR 228/85]).
Rn 16
Widerrufsberechtigt kann auch ein am Vergleich beteiligter Dritter sein, der nicht Prozesspartei geworden ist (MüKoZPO/Wolfsteiner Rz 58). Bei einem Vergleich mit Widerrufsvorbehalt zug mehrerer Streitgenossen kann eine Auslegung ergeben, dass jeder der Streitgenossen berechtigt sein soll, den Vergleich innerhalb gesetzter Frist zu widerrufen und der Vergleich nur dann wirksam zustande kommt, wenn keiner der Streitgenossen von diesem Widerrufsrecht Gebrauch macht (BGHZ 46, 277, 280, 281). Liegt notwendige Streitgenossenschaft vor, wird in entsprechender Anwendung des § 62 I der Widerruf eines der Streitgenossen im Hinblick auf den prozessualen Teil des Vergleichs, nicht aber auch dessen materiell-rechtlichen Teil, ausreichen. Die Beweislast dafür, dass ein wirksamer Widerruf nicht erfolgt ist, liegt bei der Partei, die sich auf die Wirksamkeit des Vergleichs beruft; derjenige, der günstige Rechtsfolgen aus einem Vergleich herleitet, hat die Voraussetzungen hierfür zu beweisen (BAG NJW 04, 701, 702 [BAG 05.11.2003 - 10 AZB 38/03]).
Rn 17
Die Vergleichsparteien können frei bestimmen, wer Empfänger des Widerrufs sein soll (BGH NJW 80, 1753, 1754; NJW-RR 05, 1323, 1324 [BGH 22.06.2005 - VIII ZR 214/04]). Mangels einer ausdrücklichen Vereinbarung ist der Adressat durch Auslegung zu ermitteln. Empfänger des Widerrufs können sowohl das Gericht als auch der Gegner sein. Lässt sich ein eindeutiger Wille im Vergleich nicht feststellen, ist davon auszugehen, dass der Widerruf der Prozessbeendigungsvereinbarung dem Gericht ggü, der materielle Vergleichsteil dem Vertragspartner ggü zu widerrufen ist. Der Widerruf auch nur eines Teils der Vereinbarung führt wegen der bestehenden Verknüpfung zur Unwirksamkeit des gesamten Prozessvergleichs (BGH NJW 05, 3576, 3577). Die dem Gericht ggü widerrufene Prozesshandlung hindert damit den Eintritt der prozessbeendigenden Wirkung des Vergleichs ebenso wie der dem Vergleichspartner nach § 130 BGB erklärte Widerruf. Der dem Gericht ggü zu erklärende Widerruf ist Prozesshandlung und unterliegt den Formvorschriften für bestimmende Schriftsätze; im Anwaltsprozess gilt Anwaltszwang (BAG NJW 89, 3035, 3036 [BAG 31.05.1989 - 2 AZR 548/88]). Der dem Gegner ggü zu erklärende Widerruf ist idR formfrei und kann auch mündlich erfolgen (BAG NJW 60, 1365, 1366 [BAG 22.04.1960 - 5 AZR 494/59]). Widerruf per Telefax reicht aus, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 130 Nr 6 eingehalten sind.
Rn 18
Die Frist für den Widerruf beginnt im Zweifel mit Vergleichsschluss zu laufen und nicht erst mit Zustellung des Protokolls (Schles NJW-RR 87, 1022). Eine außergerichtliche Verlängerung der Frist durch die Parteien wird aus Zweckmäßigkeitsgründen für möglich gehalten, auch wenn eine solche Vereinbarung Abänderung des Prozessvergleichs ist und der prozessrechtlich notwendigen Form ermangelt (BGH WM 18, 1103 Rz 17; St/J/Münzberg Rz 87; Musielak/Voit/Lackmann Rz 14). Allerdings kann ein im Prozessvergleich nicht enthaltenes Widerrufsrecht von den Parteien nachträglich nur wirksam vereinbart werden, wenn die für den Prozessvergleich geltenden Förmlichkeiten eingehalten werden und die prozessbeendende Wirkung des Vergleichs noch nicht eingetreten ist (BGH WM 18, 1103 Rn 18).