1. Allgemeines.
Rn 6
Verschiedene Prozesshandlungen wie Verzicht, Vergleich oder Prozessaufrechnung wirken über den Rechtsstreit hinaus und entfalten auch materiell-rechtliche Wirkungen. Deshalb umfasst die Prozessvollmacht auch solche Rechtshandlungen, soweit sie sich auf das Streitverhältnis zwischen den Streitparteien beziehen, die durch den Streitgegenstand gezogenen Grenzen nicht überschreiten und der Erreichung des Prozessziels dienen (allgM BGH NJW 92, 1963, 1964; 03, 963, 964; BAG NZA 03, 1049, 1051 [BAG 04.06.2003 - 10 AZR 448/02]; Zö/Althammer § 81 Rz 10; Musielak/Voit/Weth § 81 Rz 7). Für den Prozessvergleich sind diese Wirkungen schon nach dem Wortlaut ausdrücklich angeordnet. Dies gilt unabhängig davon, ob die Erklärung innerhalb oder außerhalb des Prozesses abgeben wird (BGH NJW 92, 1963, 1964; 03, 963, 964). Erklärungen des Prozessbevollmächtigten in Wahrnehmung der Prozessvollmacht nach § 81 können nicht nach § 174 BGB zurückgewiesen werden (BGH NJW 03, 963, 964 [BGH 18.12.2002 - VIII ZR 72/02]).
2. Einzelne Rechtsgeschäfte.
Rn 7
Welche Erklärungen von der Prozessvollmacht erfasst sind, entscheidet sich im Einzelfall nach dem inneren Zusammenhang mit dem Gegenstand des Rechtsstreits und dem anzustrebenden Ziel, im Prozess zu obsiegen. Maßgebend ist, ob die Rechtshandlung sich auf den Gegenstand des Rechtsstreits bezieht, weil sie der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung innerhalb des Prozesses dient, und sich der Prozessbevollmächtigte deshalb bei vernünftiger, wirtschaftlicher Betrachtungsweise angesichts des Zwecks seiner Beauftragung und dem (vor)prozessualen Streitstoff im Interesse seines Vollmachtgebers zu der Handlung als ermächtigt ansehen darf (BGH NJW 92, 1963; 03, 963, 964). Innerhalb dieser Grenzen sind daher umfasst: die Anfechtungserklärung (RGZ 48, 218), die Aufrechnung (BGHZ 31, 206, 209), die Rücktrittserklärung, auch soweit diese vorprozessual erklärt wurde (BGH NJW-RR 06, 279, 280), die Genehmigung und die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten (Musielak/Voit/Weth § 81 Rz 8). Die Prozessvollmacht zur Geltendmachung eines Anspruchs, dem eine Kündigung vorauszugehen hat, ermächtigt zur Kündigung (BAG NJW 88, 2691, 2693 [BAG 21.01.1988 - 2 AZR 581/86] für den Kündigungsschutzprozess), die Prozessvollmacht des Beklagten zur Entgegennahme der Kündigung (BGH NJW-RR 00, 745 [BGH 23.02.2000 - XII ZR 77/98] für die Räumungsklage) oder eines Mieterhöhungsverlangens (BGH NJW 03, 963, 964 [BGH 18.12.2002 - VIII ZR 72/02]). In der Regel wird dies bedeutsam für einseitige Rechtsgeschäfte wie Anfechtung, Genehmigung, Aufrechnung, Kündigung, Widerruf und damit für die Ausübung von Gestaltungsrechten, von denen die Geltendmachung oder Durchsetzbarkeit der streitbefangenen Forderung abhängt (BGH Rpfleger 94, 29 [BGH 13.07.1993 - III ZR 82/92]). Soweit Gestaltungsrechte von mehreren gemeinsam auszuüben sind, ermächtigt die Prozessvollmacht nicht ohne weiteres zur Abgabe der Erklärung auch für den nicht am Prozess beteiligten weiteren Vertragspartner (Karlsr WM 16, 1036, 1040). Auch die Befugnis zu einem außergerichtlichen Vergleich ist von der Prozessvollmacht erfasst (hM BAG NJW 63, 1469 [BAG 28.03.1963 - 2 AZR 379/62]; St/J/Jacoby § 81 Rz 11; MüKoZPO/Toussaint § 81 Rz 11), solange der Regelungsinhalt des Vergleichs nicht über den Streitgegenstand hinausgeht und zum damaligen Zeitpunkt bereits im Streit befangen war (BayObLG NJW-RR 99, 235, 236 [BayObLG 05.11.1998 - 2 ZBR 147/98]; Musielak/Voit/Weth § 81 Rz 8; aA Zö/Althammer § 81 Rz 11; Anders/Gehle/Weber ZPO § 80 Rz 21: nicht im Regelfall). Diese Grenze ist überschritten, wenn die Klage auf Herausgabe der Nutzungen durch den Nießbraucher gerichtet ist, im Vergleich aber auf den Nießbrauch selbst verzichtet wird (BGH NJW 92, 1963, 1964). Auf den konkreten Rechtsstreit bezogene Gerichtsstandsvereinbarungen sind ebenso möglich wie Vereinbarungen über das anwendbare Recht (St/J/Jacoby § 81 Rz 10; Zö/Althammer § 81 Rz 11).
3. Grenzen.
Rn 8
Die Grenzen der aus der Prozessvollmacht folgenden materiell-rechtlichen Befugnis sind dann überschritten, wenn es sich nicht mehr um reine Hilfsgeschäfte zur Erreichung des Rechtsschutzziels handelt, auch wenn dennoch ein gewisser Bezug zum Prozess besteht. Deshalb sind Rechtgeschäfte mit Dritten nicht möglich (BGH Rpfleger 94, 29 für die Erwerb der eingeklagten Forderung vom Berechtigten). Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Prozessvergleich auf einen hinzutretenden Dritten erstreckt wird, solange der Zusammenhang mit dem Prozess besteht (BGH VersR 93, 121). Abstrakte und deklaratorische Schuldanerkenntnisse bezogen auf einen noch nicht streitbefangenen Anspruch sind idR durch die Prozessvollmacht nicht gedeckt (BGH NJW 82, 1809, 1810 [BGH 19.02.1982 - V ZR 251/80]). Das Gleiche gilt für den Erlass. In diesen Fällen bedarf es einer gesonderten Vollmacht. Eine Schiedsvereinbarung darf der Prozessbevollmächtigte ebenfalls nicht abschließen (hM St/J/Jacoby § 81 Rz 10; MüKoZPO/Toussaint § 81 Rz 4). Auch Erklärungen ggü einer Behörde, deren Wirksamkeit von der Vor...