I. Prozesshandlungen.
Rn 2
Nach dem Wortlaut von Abs 1 S 2 werden der Partei die Prozesshandlungen zugerechnet. Darunter sind alle Maßnahmen und Handlungen des Prozessbevollmächtigten zu verstehen, die dieser in Wahrnehmung seiner Befugnisse aus der Prozessvollmacht vornimmt oder unterlässt (MüKoZPO/Toussaint § 85 Rz 1, 3). Umfasst ist daher auch die Entgegennahme von Prozesshandlungen des Gerichts, des Gegners oder sonstiger Verfahrensbeteiligter insb auch die Entgegennahme von Zustellungen (Ausnahme § 141 II 2). Die Vorschrift gilt auch im Parteiprozess (Zö/Althammer § 85 Rz 5). Die Bindung der Partei an materiell-rechtliche Erklärungen des Bevollmächtigten ergibt sich aus der Prozessvollmacht, soweit diese auch solche Erklärungen deckt (§ 81 Rn 6), und richtet sich nach materiellem Recht (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4). An Rechtsausführungen ihres Bevollmächtigten ist die Partei nicht gebunden, diese können von ihr jederzeit widerrufen oder berichtigt werden (allgM Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 3; Zö/Althammer § 85 Rz 1).
II. Wirkungen.
Rn 3
Die Wirkungen nach Abs 1 S 1 sind umfassend und verpflichten die Partei so, als hätte sie die Handlung selbst vorgenommen. Über den Wortlaut hinaus gilt dies auch für Handlungen, die die Partei berechtigen (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4). Ohne Bedeutung ist, ob im Innenverhältnis der Bevollmächtigte seine Befugnis überschreitet, solange die Handlung im Außenverhältnis durch die Prozessvollmacht gedeckt ist (BGH VersR 88, 526, 527). Deshalb findet eine Zurechnung auch dann statt, wenn der Bevollmächtigte gegen ausdrückliche Weisungen des Vertretenen verstoßen hat. Eine Ausnahme kommt bei einem kollusiven Zusammenwirken mit dem Prozessgegner (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4) sowie dann in Betracht, wenn die Handlung zum wirklichen Willen der Partei in Widerspruch steht und der Irrtum des Bevollmächtigten für Gericht und Gegner offensichtlich ist (BGH VersR 77, 574; 88, 526, 527).
III. Widerruf und Berichtigung.
1. Allgemeines.
Rn 4
Die Partei kann auch im Anwaltsprozess (§ 137 IV) Geständnisse (§ 288) und andere tatsächliche Erklärungen einschließlich der Stellungnahmen zu solchen des Gegners (§ 138 I–IV) ihres Bevollmächtigten widerrufen und berichtigen (Abs 1 S 2). Insoweit gelten die Beschränkungen für den Widerruf des Geständnisses (§ 290) nicht. Die Partei kann auch Tatsachen zugestehen, die ihr Bevollmächtigter bestritten hat (Zö/Althammer § 85 Rz 9). Macht die im Termin anwesende Partei von dieser Möglichkeit Gebrauch und widerspricht der Sachdarstellung ihres Bevollmächtigten, gilt im Parteiprozess aufgrund ihrer besseren Kenntnisse des tatsächlichen Geschehens nur ihre Erklärung (allgM Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 5; Zö/Althammer § 85 Rz 7). Im Anwaltsprozess muss das Gericht versuchen, den Widerspruch zwischen den Erklärungen des Prozessbevollmächtigten und der Partei aufzuklären und ggf die widerstreitenden Erklärungen nach § 286 würdigen, wobei in der Regel der Version der Partei der Vorzug zu geben sein dürfte, da diese das Geschehen unmittelbar erlebt hat (Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 4; Zö/Althammer § 85 Rz 8). An andere Erklärungen ihres Bevollmächtigten ist die Partei im Anwaltsprozess gebunden, sie kann ihnen weder entgegentreten noch sie durch eigene Erklärungen ersetzen. Dies gilt insb für einen Vergleich, einen Verzicht oder ein Anerkenntnis, da diese Erklärungen über rein tatsächliche Äußerungen hinausgehen und rechtliche Wirkungen bezogen auf den Streitgegenstand entfalten (St/J/Jacoby § 85 Rz 6; Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 5). Insoweit ist die Partei auf Schadensersatzansprüche aus dem Innenverhältnis beschränkt.
2. Zeitpunkt.
Rn 5
Nach dem Wortlaut muss der Widerruf oder die Berichtigung sofort erfolgen, die Partei muss daher unverzüglich widersprechen, sobald sie zu Wort kommt, was im Anwaltsprozess nach Maßgabe des § 137 IV möglich ist. Versäumt die Partei diesen Zeitpunkt, kann sie ein Geständnis oder tatsächliche Erklärungen nur noch nach Maßgabe der allgemeinen Regeln für den Widerruf von Prozesserklärungen berichtigen oder ändern (allgM St/J/Jacoby § 85 Rz 7; Musielak/Voit/Weth § 85 Rz 6; Zö/Althammer § 85 Rz 8). Für ein Geständnis gilt daher § 290.
3. Parteiprozess.
Rn 6
Im Parteiprozess ist die Partei selbst postulationsfähig und kann deshalb auch selbst Prozesshandlungen vornehmen. In diesen Verfahren kann sie daher über Abs 1 S 2 hinaus auch Prozesshandlungen ihres Bevollmächtigten widersprechen und diese durch eigene Erklärungen ersetzen. Durch einen sofortigen Widerruf der Prozesshandlungen des Vertreters kann sie die Bindungswirkung abwenden, bei widersprechenden Prozesshandlungen gilt die der Partei, die Herrin des Verfahrens ist (Zö/Althammer § 85 Rz 5).
IV. Kenntnis.
Rn 7
Der Partei ist auch die Kenntnis ihres Bevollmächtigten zuzurechnen, § 166 BGB gilt sinngemäß (BGH NJW 69, 925 [BGH 24.10.1968 - II ZR 214/66]; WM 93, 972, 973 [BGH 30.03.1993 - X ZR 51/92]). Die Grundsätze über die Zurechnung des Verhaltens des Wissensvertreters treffen auf den Prozessbevollmächtigten uneingeschränkt zu, weshalb der Partei auch bei der Wahrung materiell-rechtlicher Fristen dessen Kenntnis ...