I. Grundlagen.
Rn 41
Auszugehen ist von der vollstreckungsrechtlichen Dreiteilung des Arbeitseinkommens. Soweit das Einkommen zur Sicherung des notwendigen Unterhalts eines Schuldners und seiner Familie benötigt wird (§ 850d Rn 16 ff, § 850f Rn 10 ff), ist es für niemanden pfändbar. Dies gilt in jedem Fall auch für das Existenzminimum gem § 850f I. Der Betrag zwischen dem individuell bestimmten notwendigen Unterhalt und dem nach der Tabelle zu § 850c zu berechnenden Pfändungsfreibetrag ist den gem §§ 850d, 850f II privilegierten Gläubigern vorbehalten. Auf den nach den Tabellensätzen pfändbaren Betrag des Einkommens können alle Gläubiger zugreifen.
Rn 42
Konkurrieren privilegierte und einfache Pfändungen, gilt nach den allgemeinen Pfändungsregeln für den gem § 850c pfändbaren Bereich des Einkommens der Prioritätsgrundsatz. Im erweitert pfändbaren Bereich gilt zwischen konkurrierenden bevorrechtigten Forderungen mit unterschiedlicher Privilegierung, dh einerseits aus § 850d und andererseits aus § 850f II, ebenfalls das Prioritätsprinzip. Zwischen konkurrierenden Unterhaltsforderungen ist dagegen auf das Rangprinzip abzustellen (§ 850d Rn 35 ff).
Rn 43
Diese allgemeinen Regeln ergänzt § 850e Nr 4 um eine Verrechnungsregel, falls eine Pfändung, Abtretung oder sonstige Verfügung wegen einer nach § 850d bevorrechtigten Unterhaltsforderung mit einer einfachen Pfändung zusammentrifft. Erforderlich ist diese Regelung, wenn ein einfacher Gläubiger mit einem prioritär pfändenden Unterhaltsgläubiger konkurriert, der nicht auf den erweitert pfändbaren Bereich zugreift. Unanwendbar ist § 850e Nr 4 bei einer prioritären Pfändung eines nach § 850f II privilegierten Deliktsgläubigers. Der qualifizierte Deliktsgläubiger kann zwar auch in den Vorrechtsbereich vollstrecken. Auf ihn soll jedoch kein Druck zur Ausübung seiner Privilegierung ausgeübt werden, um die Zugriffschancen der Unterhaltsgläubiger nicht unnötig zu beeinträchtigen.
II. Fallgestaltungen.
Rn 44
Pfändet zunächst ein einfacher Gläubiger und anschließend ein Unterhaltsgläubiger, erhält der gewöhnliche Gläubiger im allgemein pfändbaren Bereich den Vorrang. Um seine Forderung zu befriedigen, kann und muss der Unterhaltsgläubiger auf den Vorrechtsbereich zugreifen und dazu einen Antrag nach § 850d stellen. Dem Unterhaltsgläubiger steht insoweit der nach § 850f II privilegierte Gläubiger einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gleich.
Rn 45
Vollstreckt zeitlich vorrangig ein Unterhaltsgläubiger und anschließend ein gewöhnlicher Gläubiger, so ist zu unterscheiden. Hat der Unterhaltsgläubiger einen Antrag nach § 850d gestellt, ist seine Forderung aus dem Vorrechtsbereich und mit einem ggf verbleibenden Rest prioritär aus dem allgemein pfändbaren Einkommen zu erfüllen. Der einfache Gläubiger kann auf den nicht ausgeschöpften pfändbaren Teil des Einkommens zugreifen. Gleiches gilt auch bei der prioritären Vollstreckung eines qualifizierten Deliktsgläubigers.
Rn 46
Stellt der zunächst pfändende Unterhaltsgläubiger keinen Antrag nach § 850d, greift er also nur auf den für alle Gläubiger offenstehenden Bereich zu, blockiert er den nachrangigen einfachen Gläubiger. Für den nachrangigen Gläubiger besteht dann das Risiko, mit seiner Forderung auszufallen, weil der Unterhaltsgläubiger sein Vorrecht nicht beansprucht hat. Reicht der verbleibende pfändbare Betrag nicht aus, um die Forderung des gewöhnlichen Gläubigers zu erfüllen, begründet § 850e Nr 4 eine besondere Verrechnungsregel. Auf Antrag ordnet das Vollstreckungsgericht dann an, dass der Unterhaltsanspruch zunächst auf privilegiert pfändbare Einkommensteile verrechnet wird. Übersteigt der Unterhaltsanspruch das erweitert pfändbare Einkommen, ist für die Differenz auf das allgemein pfändbare Einkommen zuzugreifen. Diese Verrechnungsmöglichkeit gilt nicht für den Deliktsgläubiger nach § 850f II.
III. Verfahren.
Rn 47
Die abzuziehenden Beträge nach Nr 1 muss der Drittschuldner berechnen und die unpfändbaren Beträge leisten. Verrechnung und Anrechnung nach Nr 2 bis 4 erfolgt auf Antrag eines Gläubigers oder des Schuldners, der allerdings regelmäßig kein Interesse daran haben wird, nicht aber auf Antrag des Drittschuldners. Der Verrechnungsantrag eines Unterhaltsgläubigers ist erforderlichenfalls in einen Antrag gem § 850d umzudeuten. Der nicht fristgebundene Antrag muss in einem Vollstreckungsverfahren gestellt werden. Die Verrechnung kann gesondert beantragt oder mit einem Pfändungsgesuch bzw den Anträgen nach den §§ 850b, 850c IV, 850d verbunden werden.
Rn 48
Der Antrag ist beim örtlich zuständigen Vollstreckungsgericht zu stellen (§ 828 Rn 7 f) und durch den nach § 20 Nr 17 RPflG funktionell zuständigen Rechtspfleger zu erlassen (§ 828 Rn 3). Der Antragsteller hat den Unterhaltsanspruch des vorrangig pfändenden Gläubigers sowie den notwendigen Unterhalt des Schuldners schlüssig darzulegen und zur Überzeugung des Vollstreckungsgerichts zu beweisen. Eine Anhörung des Schuldners muss erfolgen, wenn der Verrechnungsantrag ohne ein Pfändungsgesuch gestellt wird,...