I. Anwendungsbereich.
Rn 3
Die Garantiebestimmung des § 850f I sichert unabhängig von der konkreten vollstreckungsrechtlichen Situation den Lebensunterhalt des Schuldners. In jedem Fall ist das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, das nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG unverfügbar ist (BVerfG NJW 10, 505 Rz 133; 14, 3425 Rz 74). Dieses verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum muss auch im Vollstreckungsverfahren gelten (BGH WM 11, 76 Rz 15; BGH NZI 17, 931 Tz 7). Sachlich anwendbar ist § 850f I, soweit es sich um Arbeitseinkommen iSd §§ 850, 850a, 850b, 850e Nr 3 sowie Erwerbsersatzeinkommen, vgl § 850e Nr 2a (Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Kessal-Wulf/Lorenz/Els § 850f Rz 1) handelt. Aus dem Gesetzestext kann nicht beantwortet werden, ob auch für sonstige Einkünfte iSd § 850i I 1 Alt 2 der erweiterte Pfändungsschutz bejaht werden kann (offengelassen von BGH NZI 15, 457 Rz 22). Soweit der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Existenzminimums dies erfordert, muss § 850f I auch auf die sonstigen Einkünfte nach § 850i I 1 Alt 2 angewendet werden. Überhaupt kann in § 850f I eine Konkretisierung der grundrechtlichen Gewährleistungen gesehen werden, die für alle Forderungen gilt (enger BGH NZI 15, 457 Rz 24). Ist das Existenzminimum gesichert, bleibt § 850f I unanwendbar. Weiter muss das pfändungsfreie Einkommen des Schuldners mit seinem hypothetischen Bedarf verglichen werden. Einer der drei gesetzlich normierten Härtefälle muss vorliegen und es dürfen keine überwiegenden Belange des Gläubigers die Erhöhung verhindern. Überschreitet der gem Abs 1 lit a) anzusetzende sozialrechtliche und der nach Abs 1 lit b) und c) zu berücksichtigende sonstige Bedarf den Betrag des pfändungsfreien Einkommens, ist Letzteres um die Differenz zu erhöhen, soweit keine überwiegenden Belange des Gläubigers entgegenstehen.
Rn 4
Die Gewährleistungsfunktion der Regelung gilt auch im Normalfall einer Vollstreckung nach der Pfändungstabelle. Dem Schuldner ist danach der sozialrechtlich zu bestimmende Bedarf zu belassen, selbst wenn dieser Betrag die Pfändungsfreigrenze aus § 850c übersteigt (Stuttgart NJW-RR 87, 758). Vor der Dynamisierung der Pfändungsfreigrenzen durch § 850c IV lag hier ein weites Aufgabengebiet. Eine ältere Entscheidung des BGH vom 25.10.84 hat allerdings, wenn auch nur bezogen auf den damaligen Zeitpunkt, für den Normalfall eine sozialrechtliche Hilfebedürftigkeit iRd Tabellensätze des § 850c verneint (BGHZ 92, 339, 346). Dennoch ist der Entscheidung, jedenfalls nach der heutigen Rechtslage, zu widersprechen, weil sie etwa im Hinblick auf die Unterkunfts- und Heizungskosten die sozialrechtlich erforderliche Einzelfallbetrachtung nicht genügend beachtet. Diese sozialrechtliche Bindung folgt spätestens aus der Ergänzung von § 850f I um lit a) im Sechsten Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen v 1.4.92 (BGBl I, 745). Seit der Dynamisierung der Pfändungsfreibeträge im Siebten Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen v 13.12.01 (BGBl I, 3638) und anschließend dem PKoFoG ist freilich diese Bedeutung von § 850f I geschrumpft. Es existiert aber eine Restfunktion bei besonderen Bedürfnissen oder hohen Unterhaltslasten des Schuldners.
Rn 5
Die aktuelle Zentralfunktion der Vorschrift besteht darin, den sozialrechtlichen Mindestbedarf des Schuldners bei einer erweiterten Pfändung nach den §§ 850d, 850f II sicherzustellen. Dazu wird die Gewährleistungsfunktion von § 850f I in einem zweistufigen Regelungskonzept entfaltet. Über seine Definitionsfunktion bestimmt § 850f I Nr 1 das Mindestmaß für den Lebensunterhalt des Vollstreckungsschuldners. Reicht der nach § 850c zu ermittelnde pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen Lebensbedarf des Schuldners zu decken, und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850d I 2 nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über § 850f I ausgeglichen werden (BGH NJW-RR 04, 506, 507 [BGH 12.12.2003 - IXa ZB 225/03]). Bei einer privilegierten Vollstreckung muss dem Schuldner aufgrund der ausdrücklichen Regelungen in § 850d I 2 sowie § 850f II Hs 2 der eigene und der zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten erforderliche notwendige Unterhalt belassen werden. Bei nicht wiederkehrenden Bezügen muss dem Schuldner nach § 850i I 1 der notwendige Unterhalt belassen werden, ähnl auch § 902. Diesen notwendigen Unterhalt definiert § 850f I Nr 1 einheitlich für die verschiedenen Arten der Forderungsvollstreckung. Den Maßstab bilden die sozialrechtlichen Vorschriften des SGB XII und des SGB II.
Rn 6
Jenseits dieser Basis sichert die Aufstockungsfunktion aus § 850f I Nr 2 und 3 den Mindestbedarf in besonderen Lebenssituationen. Eine Heraufsetzung ist auch dann zulässig, wenn der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer nach den §§ 850d, 850f II bevorrechtigten Forderung betreibt (LG Darmstadt ZVI 03, 399, 400). Da diese Vorschriften bereits eine individualisierte Abwägung verlangen, k...