Rn 46
Das Vollstreckungsgericht muss aus dem Vollstreckungstitel entnehmen können, ob die Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiert. Prinzipiell muss also der Titel über eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners erlassen sein, die wenigstens einen der dem Titel unterlegten rechtlichen Gründe bildet und im Titel zum Ausdruck gekommen ist (MüKoZPO/Smid § 850f Rz 17; St/J/Würdinger § 850f Rz 13). Ergibt sich aus einem geeigneten Titel (Rn 47 f) die qualifizierte Forderung, ist das Vollstreckungsgericht an die Feststellung des Erkenntnisgerichts gebunden. Die Rechtskraft eines Leistungsurteils umfasst nicht bereits die Feststellung, der zuerkannte Anspruch stamme aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, wenn der Ausspruch nach materiellem Recht ein Vorsatzdelikt voraussetzt. Der Gläubiger kann einen rechtskräftigen Ausspruch aber durch einen Feststellungsantrag oder eine titelergänzende Feststellungsklage erreichen (BGHZ 183, 77 Rz 14 ff). Aus der funktionalen Aufgabenverteilung zwischen Prozess- und Vollstreckungsgericht (Gaul NJW 05, 2894, 2895) folgt, dass das Vollstreckungsgericht zwar zur Auslegung des Titels (Ahrens NJW 03, 1371), nicht aber zu einer eigenständigen materiell-rechtlichen Prüfung des qualifizierten Schuldgrunds berechtigt ist (BGHZ 152, 166, 170; NJW 05, 1663; Wieczorek/Schütze/Lüke § 850f Rz 31b). Ist im zu vollstreckenden Titel keine oder nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage genannt, kann der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren ohne Zustimmung des Schuldners einen Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung nicht mehr nachweisen (BGH NJW 03, 515; ZVI 02, 422).
Rn 47
Erst die auf den qualifizierten Rechtsgrund zu erstreckende eigenständige Rechtserkenntnis durch das Prozessgericht rechtfertigt den erweiterten Vollstreckungszugriff (Meller-Hannich LMK 05, 74, 75). Deswegen legitimieren nicht sämtliche Titel eine privilegierte Pfändung, selbst wenn der Titel den Rechtsgrund eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zum Ausdruck bringt. Zulässig ist eine Vollstreckung in den Vorrechtsbereich aus streitigen Endurteilen.
Rn 48
Unzulässig ist in jedem Fall eine privilegierte Vollstreckung nach § 850f II aus einem Vollstreckungsbescheid, weil im Mahnverfahren keine materiell-rechtliche Prüfung erfolgt (BGH NJW 03, 515; 05, 1663; 06, 2922, 2923; Ahrens JurBüro 03, 401, 403; ders NJW-Spezial 08, 501). Dies gilt auch, wenn das Land mit einem Vollstreckungsbescheid Unterhaltsvorschussleistungen gegen den Unterhaltsschuldner vollstreckt und gem § 7 V UVG den Bewilligungsbescheid beifügt. Dieser Bescheid ersetzt keine Prüfung durch das Erkenntnisgericht. Kein erweiterter Zugriff ist möglich, wenn dem Anspruch ein rechtskräftiges Versäumnisurteil zugrunde liegt, dessen Tenor nicht ausdrücklich einen Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung feststellt (BGHZ 183, 77 Rz 14 ff; BGH NZI 06, 536 [BGH 18.05.2006 - IX ZR 187/04]; Kobl NZI 08, 117, 118; St/J/Würdinger § 850f Rz 13; Ahrens NJW-Spezial 08, 501; aA Celle ZInsO 09, 724, 725; Naumbg NZI 11, 772; alle zu § 302 Nr 1 InsO). Entspr gilt für die Vollstreckung aus Anerkenntnisurteilen (St/J/Würdinger § 850f Rz 13; Ahrens NJW-Spezial 08, 501, 502), wohl aber, wenn das Deliktsattribut festgestellt wurde (AG Erfurt NZI 22, 861), gerichtlichen Vergleichen, es sei denn, die Parteien wollten auch den Rechtsgrund aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung außer Streit stellen (BGH NZI 09, 612 [BGH 25.06.2009 - IX ZR 154/08] Rz 7; Ahrens NJW-Spezial 08, 501, 502). Ist die Zahlungsverpflichtung in dem Vergleich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernommen, besteht keine Bindung. Dies gilt ebenso bei privatschriftlichen Vergleichen (LG Verden Rpfleger 10, 150 [LG Verden 23.10.2009 - 6 T 172/09]) und bei vollstreckbaren Urkunden. Der vollstreckbare Auszug aus der Insolvenztabelle, § 201 II 1 InsO, genügt nach der Rspr des BGH, wenn eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist (BGHZ 223, 123 Tz 9; WM 20, 750; LG Düsseldorf JurBüro 08, 661; LG Essen ZInsO 17, 2065; LG Lübeck NZI 18, 609; AG Velbert JurBüro 23, 273; Sternal NZI 18, 241, 246; Knauth ZInsO 18, 2185; Schinkel ZVI 19, 251, 254; aA LG Koblenz NZI 18, 569; AG Köln NZI 17, 79; AG Münster BeckRS 17, 120881; AG Zeitz NZI 19, 435; BeckOKZPO/Riedel 29. Ed. § 850f Rz 37; Ahrens NJW-Spezial 18, 725; Reck ZVI 18, 348, 349; Hain VIA 18, 33, 35). Dies begründet der BGH mit dem bei der Anmeldung nach § 174 II InsO erforderlichen Tatsachenvortrag. Zudem seien unterschiedliche Anforderungen für die Ausnahme von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr 1 Alt 1 InsO und der Privilegierung im Rahmen von § 850f II nicht zu rechtfertigen. Sind die Forderung oder der Rechtsgrund bestritten worden, genügt der Tabellenauszug nicht (AG Zeitz NZI 19, 435). Vollstreckbare Bescheide der Verwaltungsbehörden bilden keinen geeignete...