a) Objektive einzelfallabhängige Beurteilung.
Rn 18
Besteht eine Vergütungspflicht, ist die übliche Vergütung für die Dienste zu ermitteln, die der Schuldner leistet. Wenn diese feststeht, muss das zwischen ArbG und Schuldner vereinbarte Arbeitsentgelt damit verglichen und festgestellt werden, ob der Schuldner gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung arbeitet. Erst danach kann das Gericht eine angemessene Vergütung festsetzen (Dresd BeckRS 19, 32223). Die Tätigkeit muss unentgeltlich oder zu einer unverhältnismäßig geringen Vergütung ausgeführt werden. Maßgebend ist eine objektive Betrachtung, unabhängig von subjektiven Merkmalen wie einer Benachteiligungsabsicht. Unerheblich ist, ob im Verhältnis des Schuldners zum Empfänger der vom Schuldner geleisteten Arbeiten oder Dienste eine Vergütung geschuldet wird oder nicht (BAG NZA 08, 779 [BAG 12.03.2008 - 10 AZR 148/07] Rz 15). Das Entgelt des Schuldners muss deutlich im Missverhältnis zum Marktwert der Leistung stehen. Umstritten ist, ob auch die Art der Vollstreckungsforderung, etwa auf Unterhalt, zu berücksichtigen ist (bejahend Stöber/Rellermeyer Rz C.502; verneinend St/J/Würdinger § 850h Rz 31). Dies ist abzulehnen, falls die Forderung zum Zugriff auf den Vorrechtsbereich iSd §§ 850d, 850f II befugt.
Rn 19
Den Prüfungsmaßstab bei einer unverhältnismäßig geringen Vergütung bilden alle Umstände des Einzelfalls, insb die Art der Arbeits- und Dienstleistung, die verwandtschaftlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Dienstberechtigten und dem Dienstverpflichteten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Dienstberechtigten (BAG NZA 08, 779 Rz 25; Dresden JurBüro 17, 323; Ahrens NJW-Spezial 09, 53, 54). Dies folgt bereits aus der Formulierung von Abs 2 S 2. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Die erforderliche einzelfallabhängige Beurteilung schließt die generelle Annahme aus, wonach lediglich eine Vergütung von weniger als 75 % der üblichen Bezahlung unverhältnismäßig gering sei (BAG NZA 09, 163 [BAG 22.10.2008 - 10 AZR 703/07] Rz 15; vgl Pape NWB 20, 2756). Umgekehrt begründet die untertarifliche Entlohnung allein keine unverhältnismäßig geringe Vergütung (aA ArbG Herford BB 59, 232, 233; Stöber/Rellermeyer Rz C.495; s.a. Rn 22). Eine Entgeltumwandlung begründet keine Lohnverschleierung (BAG NZA 22, 140 [BAG 14.10.2021 - 8 AZR 96/20]).
b) Einzelaspekte.
Rn 20
Angelehnt an die Sittenwidrigkeitsprüfung (dazu BAG NZA 06, 1354, 1356 [BAG 26.04.2006 - 5 AZR 549/05]; PWW/Ahrens § 138 Rz 54) vermittelt die Grenze von 75 % des üblichen Verdienstes eine wichtige Orientierung. Je deutlicher dieser Betrag unterschritten ist, desto weniger zusätzliche Hinweise werden für eine unverhältnismäßig niedrige Vergütung erforderlich sein. Umgekehrt werden, je höher die Zahlung ist, desto mehr zusätzliche Anzeichen benötigt.
Rn 21
Abzustellen ist auf die vom Schuldner ohne die Pfändung sinnvollerweise gewählte Steuerklasse (BAG NJW 08, 2606 LS 3; AG Hagen JurBüro 16, 550). Ein sachlicher Grund für die Wahl besteht bei der Steuerklasse, die aufgrund der familiären Einkommenssituation unter Berücksichtigung der Steuerlast des Partners gewählt wäre (BGH NJW-RR 06, 569; LG Ddorf JurBüro 17, 102; enger AG Aurich JurBüro 09, 47; LG Ansbach JurBüro 10, 50). Eine schon lange vor der Pfändung aus völlig anderen Gründen gewählte Steuerklasse, die ex post gesehen den Gläubiger benachteiligt, ist nicht unangemessen (LG Osnabrück NJW-RR 00, 1216). Hat der Schuldner vor der Pfändung nachweislich eine ungünstigere Steuerklasse gewählt, muss zusätzlich eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht vorliegen. Dann ist er schon im Jahre der Pfändung so zu behandeln, als sei sein Arbeitseinkommen gem der günstigeren Steuerklasse zu versteuern (BGH NJW-RR 06, 569 Rz 13; Pape NWB 20, 2756; krit Zö/Herget § 850e Rz 1b). Diese von § 850e Nr 1 abweichende Berechnung ggü dem Schuldner ist dem Drittschuldner mitzuteilen. Für die Beurteilung der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners sind alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, also insb die Höhe der Einkommen beider Ehegatten, Kenntnis des Schuldners von der Höhe seiner Verschuldung und einer drohenden Zwangsvollstreckung, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung etc. Wesentlich ist auch, wann erstmals die ungünstige Steuerklasse gewählt worden ist und ob dies im Zusammenhang mit der Verschuldung und Zwangsvollstreckung geschehen ist. Versteuert der Schuldner sein Einkommen nach Steuerklasse IV, obwohl es mehr als 10 % über dem Einkommen des Ehegatten liegt, soll eine Gläubigerbenachteiligung vorliegen (AG Wuppertal JurBüro 22, 668). Nach einer Heirat ist ein Wechsel des Schuldners aus der Steuerklasse I in die Steuerklasse V sachlich gerechtfertigt, wenn dadurch die Steuerlast der Ehegatten EUR 2.401,24 statt EUR 2.642,58 beträgt (LG Dortmund NZI 10, 581, 582 [LG Dortmund 23.03.2010 - 9 T 106/10]). Für die Benachteiligungsabsicht spricht, wenn der Schuldner im auf die Trennung folgenden Veranlagungszeitraum die Steuerklasse V beibehält, obwohl nach § 38b EStG Steuerklasse I gilt...