Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Gesetzestext
(1) Hat der Schuldner eine bewegliche Sache oder eine Menge bestimmter beweglicher Sachen herauszugeben, so sind sie von dem Gerichtsvollzieher ihm wegzunehmen und dem Gläubiger zu übergeben.
(2) 1Wird die herauszugebende Sache nicht vorgefunden, so ist der Schuldner verpflichtet, auf Antrag des Gläubigers zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er die Sache nicht besitze, auch nicht wisse, wo die Sache sich befinde. 2Der gemäß § 802e zuständige Gerichtsvollzieher lädt den Schuldner zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. 3Die Vorschriften der §§ 478 bis 480, 483, 802f Abs. 4, §§ 802g bis 802i und 802j Abs. 1 und 2 gelten entsprechend.
(3) Das Gericht kann eine der Sachlage entsprechende Änderung der eidesstattlichen Versicherung beschließen.
A. Normzweck und Regelungsgehalt.
Rn 1
§ 883 schützt das Sachleistungsinteresse des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung. Die Norm regelt das Vollstreckungsverfahren für diejenigen Fälle, in denen ein Vollstreckungstitel den Schuldner zur Herausgabe einer unvertretbaren beweglichen Sache oder einer Menge derartiger Sachen aus seinem Gewahrsam verpflichtet. Bezieht sich die Herausgabe auf eine bestimmte Menge vertretbarer Sachen, gilt § 884. § 886 erfasst den Fall, dass sich die Sache im Gewahrsam eines Dritten befindet.
B. Herausgabevollstreckung (Abs 1).
I. Anwendungsbereich.
1. Herausgabe.
Rn 2
Die Vorschrift greift ein, wenn der Schuldner aus schuldrechtlichem oder dinglichem Anspruch Herausgabe, also Übergabe der Sache an den Gläubiger, schuldet (vgl Köln DGVZ 83, 75). Auf Beseitigung oder Entfernung einer Sache gerichtete Titel werden demgegenüber nach § 887 vollstreckt (LG Stuttgart DGVZ 90, 122). Die Abgrenzung erfolgt durch Auslegung des Vollstreckungstitels (BGH NJW 16, 645, Rz 13) nicht allein nach dem Tenor des Vollstreckungstitels, sondern unter Heranziehung der vom Schuldner zu leistenden Handlung (Köln NJW-RR 88, 1210 [OLG Köln 07.12.1987 - 2 W 175/87]). S als Bsp für die Auslegung der Begriffe ›Lohnsteuerbescheinigungen‹ und ›Sozialversicherungsnachweise‹ LAG BaWü 7.12.17 – 4 Ta 12/17, Rz 13 ff. Dabei kommt es darauf an, dass die Befriedigung des Anspruchs jedenfalls auch die Wegnahme der Sache durch den GV erfordert. Erfasst sind damit solche Fälle, in denen sich der Anspruch auf Einräumung von bloßem Mitbesitz richtet (Braunschw InVo 97, 133). Unerheblich ist, ob dem Gläubiger ein Recht auf endgültigen Verbleib der Sache zusteht oder ob er sie dem Schuldner später wieder zur Vfg stellen muss, weil die Befriedigung des Gläubigers nur den zeitweiligen Gewahrsam der Sache verlangt (Schuschke/Walker/Walker/Koranyi Rz 2). Aus diesem Grund muss auch ein Anspruch auf Einsichtnahme in Urkunden nach § 883 vollstreckt werden, sofern er sich auf die Vorlage der Urkunde beschränkt (Frankf InVo 03, 445 [BGH 28.05.2003 - IXa ZB 51/03]; NJW-RR 02, 824 [LG Erfurt 06.04.2001 - 7 T 123/00]; NJW-RR 92, 171 [OLG Frankfurt am Main 17.07.1991 - 20 W 43/91]; München OLGR München 94, 261; KG InVo 98, 108; Frankf MDR 18, 765 [BGH 22.03.2018 - IX ZR 163/17]; Wieczorek/Schütze/Rensen Rz 17; für eine Vollstreckung des Anspruchs auf Akteneinsicht nach § 888 aber BFH BB 01, 83 [BFH 16.05.2000 - VII B 200/98]). So wird etwa der Anspruch der Arbeitgeberin gegen den Betriebsrat auf Einsichtnahme in Wahlunterlagen einer Betriebsratswahl nach § 883 vollstreckt (LAG Düsseldorf 29.7.20 – 12 TaBVGa 4/20, Rz 39). Demgegenüber kommt eine Vollstreckung nach § 888 in Betracht, wenn die Vorlagepflicht sich nur als Nebenpflicht zu einer umfassenden Auskunftspflicht darstellt (Karlsr InVo 00, 398 [OLG Karlsruhe 29.11.1999 - 20 WF 102/99]). Die Abgrenzung erfolgt durch Auslegung (vgl Frankf MDR 02, 478 [OLG Frankfurt am Main 28.01.2002 - 5 W 2/02]). Die Verpflichtung zum Versand und Verbringen einer Sache hindert nicht die Herausgabevollstreckung nach § 883, weil ihr ggü der Herausgabepflicht keine erhebliche eigenständige Bedeutung zukommt (BGH NJW 16, 645 [BGH 07.01.2016 - I ZB 110/14], Rz 18 ff).
Rn 3
Welche Besitzart des Gläubigers nach Herausgabe begründet werden soll oder ob Herausgabe zur Hinterlegung an eine Behörde oder einen sonstigen Dritten geschuldet wird, ist für die Anwendbarkeit von § 883 deshalb gleichgültig, weil sich der Anspruch in allen Fällen nur mittels Wegnahme beim Schuldner verwirklichen lässt.
2. Mischkonstellationen.
Rn 4
Treffen den Schuldner neben der Pflicht zur Herausgabe der Sache weitere sachbezogene Verpflichtungen (etwa Reparatur, Bearbeitung etc), entscheidet ihre Bedeutung im Vergleich zur Herausgabe über die Rechtsgrundlage der Vollstreckung (vgl Schuschke/Walker/Walker/Koranyi Rz 3; BGH NJW 16, 645, Rz 13). S als Bsp für Kombination aus Verpfl zur Erbringung von Werkleistungen sowie zur Lieferung BGH NJW 16, 645. Die Pflicht zur Versendung/Lieferung jedoch ist (s soeben) typisiert und nicht gewichtend einzelfallbezogen zu behandeln (BGH NJW 16, 645 [BGH 07.01.2016 - I ZB 110/14], Rz 21 f). Nicht sachbezogene Handlungspflichten sind nach den hierfür jew einschlägigen Vorschriften gesondert zu vollstrecken (Frankf InVo 03, 445 [BGH 28.05.2003 - IXa ZB 51/03]).
Rn 5
Auch bei ni...