Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Rn 16
Eine vertretbare Handlung iSd § 887 liegt vor, wenn das geschuldete Verhalten von einem Dritten anstelle des Schuldners vorgenommen werden kann, ohne dass es dem Gläubiger darauf ankommt, dass die Beseitigung gerade vom Schuldner selbst vorgenommen wird (vgl etwa BGH 27.11.08 – I ZB 46/08, NJW-RR 09, 443; 9.10.13 – I ZB 51/11; Frankf 24.3.23 – 26 W 1/23, DGVZ 23, 146 Rz 14). Vertretbar ist sie danach dann eine Handlung, wenn es für den Gläubiger bei vernünftiger Betrachtungsweise rechtlich und wirtschaftlich keine Bedeutung hat, ob der Schuldner selbst oder ein Dritter (nicht unbedingt jeder Dritte) sie vornimmt (Zweibr InVo 00, 398, 399 [OLG Karlsruhe 29.11.1999 - 20 WF 102/99]; Ddorf NJW-RR 98, 1768, 1769 [OLG Düsseldorf 09.02.1998 - 9 W 7/98]; Köln MDR 75, 586; G/S/B-E § 71, Rz 4). Zudem muss es vom Standpunkt des Schuldners rechtlich zulässig sein, dass ein anderer die Handlung bewirkt (BGH NJW 95, 463, 464; Kobl MDR 14, 244 [OLG Koblenz 02.01.2014 - 3 W 648/13]).
Rn 17
Bei der Abgrenzung ist auf die Gläubigerinteressen abzustellen, so dass Nachteile für den Schuldner grds außer Betracht bleiben (zB erhöhte Kosten, RGZ 55, 57, 59, wenn der Gläubiger Wert darauflegen kann, dass der Schuldner persönlich leistet). Ansonsten entscheidet über die Vertretbarkeit der Kern der geschuldeten Leistung, ihr sachlicher Inhalt (Hamm NJW 74, 653; LG Bremen DGVZ 06, 51). Die Tatsache, dass der Schuldner ein Wahlrecht hat, macht die Handlung nicht unvertretbar, so dass es also irrelevant ist, wenn der Erfolg auf verschiedene Art und Weise bewirkt werden kann (Ddorf NJW-RR 98, 1768 [OLG Düsseldorf 09.02.1998 - 9 W 7/98] unter Aufgabe von NJW-RR 88, 63 [OLG Düsseldorf 19.06.1987 - 9 W 43/87]; Zweibr MDR 74, 409, 410). Die Vertretbarkeit entfällt nicht, weil hinsichtlich der Mittel zur Erfüllung der Leistungspflicht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen (BSG KHE 2017/69, Rz 18). Tätigkeiten, die keine besonderen geistigen oder körperlichen Fähigkeiten voraussetzen, stellen regelmäßig vertretbare Leistungen dar, während künstlerische und wissenschaftliche Leistungen, also Leistungen, bei denen es auf individuelle, unersetzbare Fähigkeiten des Schuldners ankommt, meist als unvertretbar einzustufen sind (zur Frage der Vollstreckbarkeit nach § 888 vgl die Kommentierung des § 888). Vertretbarkeit scheidet nicht schon deswegen aus, weil vor der Durchführung Vorüberlegungen anzustellen sind (vgl Dresd InVo 02, 297, 298 f [OLG Dresden 08.10.2001 - 3 W 1411/01]).
Rn 18
Wenn die Vollstreckung von der Mitwirkung oder Zustimmung eines Dritten abhängt, gegen den sich der Leistungstitel nicht richtet, kommt § 887 nur bei dessen Einverständnis oder bei Vorlage eines gegen ihn gerichteten Duldungstitels zur Anwendung (BGH NZM 09, 202 [BGH 27.11.2008 - I ZB 46/08]; Zweibr NJW-RR 98, 1767 [OLG Zweibrücken 17.03.1998 - 3 W 53/98]; BayObLG NJW-RR 89, 462 [BayObLG 12.12.1988 - BReg. 2 Z 49/88]; Frankf 24.3.23 – 26 W 1/23, DGVZ 23, 146 Rz 15). Ansonsten greift § 888 ein, sofern die Durchsetzung des Anspruchs in der Macht des Schuldners steht (Köln MDR 03, 114; BAG 23.3.21 – 1 ABR 31/19 = NZA 21, 959, 966, Rz 81). Solange das Einverständnis des Dritten oder das Fehlen desselben noch unklar ist, kann kein Zwangsgeld festgesetzt werden, weil noch offen ist, ob sich die Zwangsvollstreckung nach § 887 oder § 888 richtet (AG München ZMR 19, 307). So werden bspw Rückbaumaßnahmen unvertretbar, wenn der Eigentümer die Wohnung verkauft hat, da die Ausübung der Rechte des Schuldners ggü dem neuen Eigentümer eine unvertretbare Handlung ist, soweit dieser und/oder dessen Mieter mit der Durchführung der vertretbaren Handlung nicht einverstanden ist bzw sind (AG Schöneberg 13.2.23 – 771 C 22/19, GE 23, 408 Rz 4). Die Vollstreckung nach § 887 setzt weiterhin die rechtliche Zulässigkeit der Handlungsvornahme durch den Dritten voraus. Im Falle der Erforderlichkeit einer Genehmigung, um die sich zumeist der Schuldner zu bemühen hat, ist die Ersatzvornahme nur bei ihrer rechtskräftigen Versagung ausgeschlossen (Ddorf MDR 02, 1394 [OLG Düsseldorf 11.07.2002 - 24 W 21/02]; Frankf InVo 97, 252). Komplexe Handlungen, für die das Zusammenwirken mehrerer Personen nötig ist und die Eingriffe in fremde Rechtsgüter erfordern, sind regelmäßig unvertretbar (München NJW-RR 92, 768 [OLG München 21.01.1992 - 27 W 302/91]).
Rn 19
Problematisch ist die Einstufung von Arbeitsleistungen. Früher nahm eine verbreitete Ansicht in der arbeitsrechtlichen Lit an, dass es sich dabei um unvertretbare Handlungen handele, so dass eine Vollstreckung wegen § 888 III ausschied (ausf St/J/Brehm 22. Aufl § 888 Rz 39 ff). Sofern es aber nicht auf individuelle Fähigkeiten des Schuldners ankommt und es dem Arbeitgeber gleichgültig ist, wer die Arbeitsleistung erbringt, sind Werk-, Dienst- und Arbeitsleistungen nach § 887 zu vollstrecken (hM in der zwangsvollstreckungsrechtlichen Lit; vgl MüKoZPO/Gruber Rz 15 mwN; so nun auch St/J/Bartels § 888 Rz 38). Klassisches Bsp einer unvertretbaren ...