Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Gesetzestext
(1) Erfüllt der Schuldner die Verpflichtung nicht, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch einen Dritten erfolgen kann, so ist der Gläubiger von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges auf Antrag zu ermächtigen, auf Kosten des Schuldners die Handlung vornehmen zu lassen.
(2) Der Gläubiger kann zugleich beantragen, den Schuldner zur Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen, die durch die Vornahme der Handlung entstehen werden, unbeschadet des Rechts auf eine Nachforderung, wenn die Vornahme der Handlung einen größeren Kostenaufwand verursacht.
(3) Auf die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe oder Leistung von Sachen sind die vorstehenden Vorschriften nicht anzuwenden.
A. Normzweck und systematische Einordnung.
Rn 1
§ 887 stellt eine Regelung zur Durchsetzung von Ansprüchen auf Vornahme vertretbarer Handlungen in Form der Ersatzvornahme dar, soweit es sich nicht um Herausgabeansprüche oder Ansprüche auf Leistung von Sachen handelt. Wegen ihrer Vertretbarkeit wird die Handlung nicht erzwungen, sondern vielmehr im Falle der Weigerung des Schuldners auf seine Kosten durchgeführt.
I. Abgrenzung zur Vollstreckung nach § 888.
Rn 2
Bei Untätigkeit des Schuldners, der eine bestimmte Handlung schuldet, stehen sich das Interesse des Gläubigers an einem Vollstreckungserfolg und das Interesse des Schuldners an einem möglichst kleinen Eingriff in seine Rechte ggü. Diese Interessenkollision hat der Gesetzgeber berücksichtigt und verschiedene Mittel der Handlungsvollstreckung gesetzlich geregelt. Nicht maßgeblich für die Abgrenzung ist, ob der Schuldner gegenüber den Zwangsmitteln des § 888 ›unempfindlich‹ ist (Brandbg 4.10.22 – 2 U 11/22 = MDR 22, 511, Rz 6). Vielmehr gilt: Bei vertretbaren Handlungen ist es nicht erforderlich, Zwangsmaßnahmen gegen den Schuldner anzuordnen, damit er persönlich die geschuldete Leistung erbringt. Stattdessen kann der Gläubiger nach § 887 ermächtigt werden, die Handlung auf Kosten des Schuldners selbst vorzunehmen oder durch einen Dritten vornehmen zu lassen (sog Ersatzvornahme). Etwas anderes gilt für unvertretbare Handlungen. In diesem Fall bleibt keine andere Möglichkeit, als den Schuldner mittels Beugezwang zur Leistung anzuhalten, vgl § 888. Daraus, dass die Ersatzvornahme idR einen weniger belastenden Eingriff für den Schuldner darstellt, folgt, dass der Anwendungsbereich des § 887 größer als der des § 888 sein sollte.
II. Abgrenzung zu besonderen Vollstreckungsregeln.
Rn 3
Obwohl auch Zahlungen, Herausgabe oder die Abgabe von Willenserklärungen Handlungen darstellen, werden auf ihre Vornahme gerichtete Titel grds nach den folgenden, vorrangigen Vorschriften vollstreckt. Das Gleiche gilt für Duldung und Unterlassung.
1. Geldvollstreckung (§§ 803 ff).
Rn 4
Ansprüche auf Geldzahlung werden nach §§ 803 ff vollstreckt. Dies gilt auch für Ansprüche auf Hinterlegung von Geld (KG NJW-RR 00, 1409, 1410 [KG Berlin 15.02.2000 - 1 W 5150/99]; Ddorf FamRZ 84, 704; KG JW 34, 3218 f) oder Sicherheitsleistung durch Hinterlegung von Geld (Ddorf FamRZ 84, 704). Lautet aber der Vollstreckungstitel auf eine Sicherheitsleistung gem § 232 BGB, ohne dass das Wahlrecht auf den Gläubiger übergegangen ist, greift § 887 ein (RGZ 19, 204, 207; Karlsr MDR 91, 454; Ddorf FamRZ 84, 704 [OLG Düsseldorf 12.03.1984 - 3 WF 40/84]), da diese vom Schuldner auf unterschiedliche Weise erbracht werden kann. Ansprüche auf Befreiung von Verbindlichkeiten werden ebenfalls nach § 887 vollstreckt, auch wenn die Verbindlichkeit selbst in einer Geldzahlung besteht (hM; BGH NJW 83, 2438, 2439 [BGH 28.06.1983 - VI ZR 285/81]; NJW 58, 497; München InVo 96, 215; zur Durchsetzung eines Befreiungsanspruchs Schlappa DGVZ 11, 21, 23), da dem Schuldner die Option bleiben muss, die Befreiung des Gläubigers auch auf anderem Wege als durch Zahlung zu erreichen. Die Verbindlichkeit muss im Titel nach Grund und Höhe bezeichnet sein (stRspr; Naumbg InVo 04, 201 mwN).
2. Herausgabevollstreckung (§§ 883 ff).
Rn 5
Nach Abs 3 findet § 887 keine Anwendung auf die Verurteilung zur Herausgabe oder Leistung von Sachen; stattdessen wird nach §§ 883 ff vollstreckt. Das Gleiche gilt idR auch für die Hinterlegung oder Vorlegung von Urkunden oder Belegen (Köln NJW-RR 88, 1210, 1211 [OLG Köln 07.12.1987 - 2 W 175/87] mwN; AG Charlottenburg 22.11.18 – 73 C 40/18 m Anm Dötsch jurisPR-MietR 3/2019 Anm 5) bzw Gewährung von Einsicht in Unterlagen. Wenn eine solche Handlung allerdings untrennbar mit Auskunft und Rechnungslegung verbunden ist, greift § 888 ein (Karlsr InVo 00, 398 [OLG Karlsruhe 29.11.1999 - 20 WF 102/99]; Köln NJW-RR 96, 382 [zu § 888]; Jena GRUR-RR 15, 463, Rz 31 [Babybilder] zur Vorlage der Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen nach § 101a I 2 UrhG); Frankf FamRZ 19, 627, Rz 5. Abgrenzungsprobleme können entstehen, wenn der Herausgabeanspruch mit Handlungspflichten, etwa im Hinblick auf Beschaffung oder Herstellung der betreffenden Sache, verbunden ist. Hier wird eine getrennte Vollstreckung durchgeführt: Selbständige Handlungspflichten mit eigenständiger Bedeutung werden neben der Herausgabe nach § 887 vollstreckt (vgl BGH NJW-RR 05, 212 [BGH 19.03.2004 - IXa ZB 328/03]). Ist zB bei einem herauszugebenden Grundstück eine große Menge Abfall...