Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Gesetzestext
(1) Durch die Vorschriften dieses Abschnitts wird das Recht des Gläubigers nicht berührt, die Leistung des Interesses zu verlangen.
(2) Den Anspruch auf Leistung des Interesses hat der Gläubiger im Wege der Klage bei dem Prozessgericht es ersten Rechtszuges geltend zu machen.
A. Normzweck und systematische Einordnung.
Rn 1
§ 893 I stellt klar, dass die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung nicht die Verpflichtung des Schuldners zum Ersatz des durch die Nichterfüllung entstandenen Schadens entfallen lässt. Ein eigenständiger prozessualer Anspruch wird durch die Norm aber nicht begründet. Vielmehr richtet sich der Schadensersatzanspruch nach den Vorschriften des materiellen Rechts (insb §§ 280 ff BGB). Aufgrund seiner Systematik gilt § 893 für titulierte Ansprüche iSd §§ 883–890, nicht aber bei Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung nach § 894. Dessen Fiktionswirkung lässt keinen Raum für einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Eine Ausübung des Wahlrechts erfordert nach allgM weder, dass der Gläubiger zunächst erfolglos versucht hat, das geschuldete Verhalten im Wege der Zwangsvollstreckung zu erzwingen (Gottwald/Mock/Mock Rz 3; ThoPu/Seiler Rz 3; Zö/Seibel Rz 3; St/J/Bartels Rz 1), noch, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt zulässig ist. Die Vorschrift gilt daher auch im Fall des § 888 III. Der unter Hinweis auf § 893 erhobenen Zahlungsklage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger im vorausgegangenen Rechtsstreit einen Titel auf Vornahme der geschuldeten Handlung erwirkt hatte, da dessen Bestimmtheit zweifelhaft ist (Saarbr 22.5.22 – 5 U 97/21, Rz 16, MDR 22, 954 [OLG Saarbrücken 20.05.2022 - 5 U 97/21]).
B. Zuständigkeit (Abs 2).
Rn 2
Abs 2 begründet für die Schadensersatzklage des Gläubigers eine vom Streitwert unabhängige, ausschl (§ 802), örtliche, sachliche sowie internationale (BGH NJW 97, 2245 [BGH 17.02.1997 - II ZR 343/95]: insoweit keine ausschl) Zuständigkeit des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges. So entscheidet etwa das FamG wegen des engen sachlichen Zusammenhangs nicht nur im Ausgangsverfahren über den Anspruch auf Herausgabe von Hausrat, sondern auch darüber, ob dem Gläubiger wegen Nichterfüllung des titulierten Anspruchs Schadensersatz zusteht (Schlesw NJW-RR 03, 1013; St/J/Bartels Rz 2; aA Ddorf FamRZ 85, 406 f).
Rn 3
Allerdings setzt die Zuständigkeitsregel des Abs 2 voraus, dass der Anspruch auf die Leistung des Interesses durch Erhebung einer Klage verfolgt wird. Eine Geltendmachung im Wege der Aufrechnung gem §§ 387 ff BGB wird daher nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst (RGZ 35, 379, 380 f; Schuschke/Walker/Sturhahn Rz 4). Gleiches gilt für Ansprüche auf Schadensersatz neben der Leistung. Die Zuständigkeit richtet sich in diesen Fällen nach den allg Zuständigkeitsvorschriften (MüKoZPO/Gruber Rz 5). Bei Nichtbeachtung des Abs 2 gelten die §§ 11, 513 II, 545 II (RGZ 66, 17, 19).