Prof. Dr. Katharina Hilbig-Lugani
Gesetzestext
1Ist der Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, so gilt die Erklärung als abgegeben, sobald das Urteil die Rechtskraft erlangt hat. 2Ist die Willenserklärung von einer Gegenleistung abhängig gemacht, so tritt diese Wirkung ein, sobald nach den Vorschriften der §§ 726, 730 eine vollstreckbare Ausfertigung des rechtskräftigen Urteils erteilt ist.
A. Normzweck und systematische Einordnung.
Rn 1
§ 894 betrifft die zwangsweise Durchsetzung einer Verurteilung des Schuldners zur Abgabe einer Willenserklärung. Da es sich hierbei um eine unvertretbare Leistung handelt, stellt § 894 (ergänzt durch §§ 895–898) – eine Spezialvorschrift zu § 888 dar. Während letzterer die Durchsetzung nicht vertretbarer Leistungen durch Zwangsmittel vorsieht, erübrigt sich bei Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung eine Willensbeugung des Schuldners. Stattdessen fingiert die Norm mit Eintritt der Rechtskraft die Abgabe der geschuldeten Willenserklärung. Dadurch wird die Zwangsvollstreckung beendet, ohne dass weitere Vollstreckungsmaßnahmen notwendig bzw zulässig sind. Es handelt sich somit um eine einfache und sichere Methode, einen entspr Anspruch unabhängig vom Schuldnerverhalten durchzusetzen.
Rn 2
Der Regelungsgehalt des ehem Abs 2, der einen Ausschlusstatbestand für den Fall der Verurteilung zur Eingehung einer Ehe darstellte, wurde durch das FGG-RefG v 17.12.08 (BGBl I 08, 2586) in § 120 III FamFG übernommen.
B. Tatbestandsvoraussetzungen.
I. Willenserklärung.
Rn 3
Der Begriff der Willenserklärung umfasst zum einen alle rechtsgeschäftlichen Erklärungen. Unerheblich ist, ob es sich beim Adressaten der Erklärung um den Gläubiger, einen Dritten (Brandbg NJW-RR 01, 1185, 1186) oder eine deutsche Behörde (BGHZ 120, 239, 248) handelt. Die rechtsgeschäftlichen Erklärungen können auf Abschluss eines Vertrages gerichtet sein, wie zB Angebot und Annahme zum Abschluss eines Kaufvertrages (BGH NJW 84, 479, 480 [BGH 07.10.1983 - V ZR 261/81]), die Einigung iSd § 929 BGB, die Auflassung eines Grundstücks (§§ 925, 873 BGB) sowie die Abtretung einer Forderung (§ 398 BGB). In Betracht kommen darüber hinaus Willenserklärungen, welche eine Vertragsaufhebung oder Vertragsänderung (BGH NJW-RR 11, 1382 und BayObLG NJW-RR 89, 1172 f [BayObLG 30.06.1989 - RE-Miet 4/88] – Zustimmung zur Mieterhöhung gem §§ 558 ff BGB; LAG Hessen 29.6.22 – 18 Sa 830/21, Rz 42 f – Änderung eines Arbeitsvertrags) herbeiführen, die Bewilligung einer Registereintragung (zB nach §§ 19 ff GBO, vgl München 9.7.20 – 34 Wx 444/18, Rz 26) oder die Zustimmung zu einem Teilzeitbegehren (ArbG Solingen 5.1.16 – 3 Ga 20/15; 3.12.15 – 3 Ca 1425/15). Bei einem Rechtsstreit nach § 558b II BGB tritt die Vertragsänderung erst mit der Rechtskraft des der Zustimmungsklage des Vermieters stattgebenden Urteils ein; die Zustimmungserklärung des Mieters gilt erst dann als abgegeben iSv § 894 (BGH NJW 20, 1947 [BGH 29.04.2020 - VIII ZR 355/18], Rz 72). Umfasst ist auch die Zustimmung zur Grundbuchänderung (KG NJW-RR 20, 1095 f [KG Berlin 23.04.2020 - 1 W 47/20], Rz 9 – Zustimmung zur Löschung einer Grundschuld gem § 27 GBO). Ebenfalls umfasst ist die Abgabe einer Willenserklärung ggü dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung auf Auszahlung einer Vollrente durch einen Ehegatten (auf Grundlage des Rücksichtnahmegebots aus § 1353 BGB; Celle FamRZ 18, 1078). Der Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst ferner die Verurteilung eines GmbH-Gesellschafters zur Zustimmung, den Gesellschaftsvertrag zu ändern (Bremen NJW 72, 1952 [OLG Bremen 06.04.1972 - 2 U 92/71]) oder zur Stimmabgabe entspr einer Abstimmungsvereinbarung (BGH NJW 67, 1963, 1966 [BGH 29.05.1967 - II ZR 105/66]) ebenso wie die Übertragung von Zahlungsansprüchen nach Maßgabe der InVeKoSV (Rostock 15.5.18 – 14 W XV 3/18). Die Nichtigkeitsfolge tritt bei einem schwebend unwirksamen Gesellschafterbeschluss im Falle einer rechtswidrigen Zustimmungsverweigerung solange nicht ein, wie ein durchsetzbarer Anspruch auf Zustimmung besteht und die Zustimmung nach § 894 noch erzwungen werden kann (Ddorf NZKart 16, 528, Rz 124). Erfasst sind ferner die Zustimmung zu einem Kapitalerhöhungsbeschluss und zur Übernahme zusätzlicher Geschäftsanteile (BGH NJW 87, 189, 190 [BGH 25.09.1986 - II ZR 262/85]), ebenso Genehmigungen gem § 177 I BGB (Köln NJW-RR 00, 880), die Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung der Einkommenssteuer (Kobl FamRZ 05, 224) oder zum Realsplitting bei geschiedenen Ehegatten (BFH NJW 89, 1504). Gleiches gilt für die Abgabe einer Erklärung nur Namensablegung (LG München I FamRZ 00, 1168 f), für die Zustimmung zu einer Auseinandersetzung der Miterbengemeinschaft nach § 2042 BGB (Köln 12.1.23 – 24 U 20/22 = FamRZ 23, 1396, Rz 37), für die Zustimmung zur Auflösung des Gemeinschaftskontos bei Beendigung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (AG Hamburg-Wandsbek 23.2.23 – 714 C 128/22 = ZMR 23, 327), für die Zustimmung des BetrR zu personellen Maßnahmen nach § 99 BetrVG (ArbG Frankfurt NZA-RR 02, 473, 474 [ArbG Frankfurt am Main 05.12.2001 - 2 BV 567/01]), für die Zustimmung des Arbeitgebers zur Arbeitsvertragsä...