I. Rechtsnatur/Wirkung.
Rn 45
Erklärt der Kl den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und schließt der Bekl sich der Erledigungserklärung nicht an, sondern beantragt weiterhin Klageabweisung, fehlt es an einer gesetzlichen Regelung zur Behandlung dieser Konstellation. § 91a ist nicht einschlägig, da keine übereinstimmenden Erledigungserklärungen vorliegen. Es wäre unbillig, wenn dem Kl aufgrund der Weigerung des Beklagten keine Möglichkeit bliebe, einer aus seiner Sicht unberechtigten Kostentragung zu entgehen und er auf eine Klagerücknahme mit anschließender erneuter Klage wegen seines möglichen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs zu verweisen wäre. Auch § 269 III 3 hilft ihm nicht weiter, da diese Vorschrift nicht für den Wegfall des Klageanlasses nach Rechtshängigkeit gilt (BGH NJW 04, 223; Rostock MDR 08, 593; aA Bonifacio MDR 02, 499, 500; Lindacher JR 05, 92, 93). Auf der anderen Seite muss der Bekl, der davon ausgeht, dass die Klage von Anfang an aussichtslos war, die Möglichkeit haben, eine rechtskraftfähige und bindende Entscheidung in der Sache selbst und nicht nur über die Kosten zu erzwingen. Um den Interessen beider Parteien gerecht zu werden, wurden Voraussetzungen und Rechtsfolgen der einseitigen Erledigungserklärung entwickelt, wobei Einigkeit besteht, dass eine solche grds zulässig ist. Dem Recht des Kl, das Verfahren einseitig für erledigt zu erklären, entspricht das Recht des Bekl, der Erklärung zu widersprechen.
Rn 46
Die einseitige Erledigungserklärung beendet den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht. Die Rechtshängigkeit des für erledigt erklärten Anspruchs entfällt nicht, sondern dieser bleibt verfahrensrechtlich Hauptsache (BGH NJW 90, 2682 [BGH 01.06.1990 - V ZR 48/89]; NJW 10, 2270 [BGH 29.10.2009 - I ZR 191/07]). In der einseitigen Erledigungserklärung liegt eine nach § 264 Nr 2 regelmäßig zulässige Klageänderung vom ursprünglichen Leistungsantrag in einen Feststellungsantrag, der darauf gerichtet ist, die Erledigung der Hauptsache festzustellen. Der Rechtsstreit wird erst durch ein entspr Feststellungsurteil beendet. Diese sog Klageänderungstheorie entspricht der ständigen Rspr des BGH (NJW 86, 588 [BGH 06.12.1984 - VII ZR 64/84]; 94, 2363 [BGH 26.05.1994 - I ZB 4/94]; 02, 442 [BGH 07.06.2001 - I ZR 157/98]), der sich die Instanzgerichte angeschlossen haben (Nürnb NJW-RR 87, 1278 [OLG Nürnberg 09.03.1987 - 9 W 3496/86]; 89, 444 [OLG Nürnberg 09.11.1988 - 9 U 1682/88]; Bambg NZM 99, 377 [KG Berlin 01.10.1998 - 20 W 6592/98]; Karlsr NJW-RR 94, 761), und dem überwiegenden Teil des Schrifttums (Bergerfurth NJW 92, 1655, 1658; Habscheid JZ 63, 579, 625; Lüke FS Weber 75, 323, 327 ff; Zö/Althammer Rz 34; St/J/Muthorst Rz 47). Im Schrifttum sind Rechtsnatur und dogmatische Einordnung der einseitigen Erledigungserklärung nach wie vor sehr umstr. Abweichende Einordnungsversuche reichen von der Umdeutung der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung in einen Klageverzicht (Lindacher Jura 70, 687, 705) oder eine privilegierte Klagerücknahme (Blomeyer JuS 62, 212; NJW 82, 2750) bis zur Annahme eines Rechtsinstituts sui generis, bei dem im Wege eines Zwischenstreits festzustellen sei, ob Erledigung eingetreten ist (R/S/G § 130 Rz 34 ff; Schwab ZZP 72, 127, 133 ff; Jost/Sundermann ZZP 105, 261, 282 ff). Andere gehen von einer Bewirkungshandlung aus, welche unmittelbar die Rechtshängigkeit beende (Assmann Erlanger FS Schwab 90, 179 und FS Merle 10, 39).
Rn 47
Folge der Klageänderung ist, dass das Gericht nur noch über die Frage zu entscheiden hat, ob die Klage ursprünglich zulässig und begründet war und durch ein nachträgliches Ereignis ihre Zulässigkeit oder Begründetheit verloren hat. Der Streitgegenstand der Feststellungsklage schließt den der ursprünglichen Leistungsklage folglich ein. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 (vgl Rn 57). Der Bekl ist auch bei unstreitigem Erledigungsereignis nicht verpflichtet, der Erledigungserklärung zuzustimmen. Denn auch dann hat er ein schutzwürdiges Interesse an der rechtskräftigen Feststellung, die Klage sei ursprünglich unzulässig oder unbegründet gewesen oder habe sich nicht erledigt. Eines besonderen Rechtsschutzinteresses für seinen Klageabweisungsantrag bedarf es nicht (BGH NJW 82, 768; 92, 2235 [BGH 27.02.1992 - I ZR 35/90]; aA Hambg NJW 70, 762 [OLG Hamburg 05.12.1969 - 1 U 39/69]).
Rn 48
Im Verwaltungsprozess wird es demgegenüber für ausreichend erachtet, dass eine möglicherweise zulässige und begründete Klage jedenfalls jetzt unzulässig oder unbegründet ist. Die ursprüngliche Zulässigkeit und Begründetheit der Klage sind daher nicht zu prüfen (BVerwGE 20, 146 = NJW 65, 1035; BVerwG 31, 318 = NJW 69, 1789; BVerwGE 82, 41 = NVwZ 89, 862). Ein entsprechend eingeschränkter Prüfungsumfang gilt auch für materielle Verwaltungsstreitverfahren, die kraft besonderer Zuweisung der Entscheidung der Zivilgerichte unterliegen (BGH NJW-RR 87, 1272 [BGH 29.10.1985 - KVR 1/84] – Kartellverwaltungsverfahren; MDR 84, 665 – Patentnichtigkeitsverfahren; Zö/Althamm...