1. Überblick.
Rn 6
Nach § 92 II kann das Gericht einer Partei die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegen. Insoweit handelt es sich um eine Ermessensvorschrift des Gerichts, nicht um eine zwingende Rechtsfolge.
2. Verhältnismäßig geringe Zuvielforderung (§ 92 II Nr 1).
a) Überblick.
Rn 7
Nach § 92 II Nr 1 kann das Gericht die Kosten einer Partei insgesamt auferlegen, wenn die Zuvielforderung der anderen Partei
- verhältnismäßig geringfügig war
und
- keine oder nur geringfügig höhere Kosten verursacht hat.
b) Geringfügige Zuvielforderung.
Rn 8
Voraussetzung ist zunächst einmal, dass die unberechtigte Zuvielforderung geringfügig war. Hier geht die Rspr von einer Grenze von 1/10 aus. Bis zu 1/10 kann die Mehrforderung noch als geringfügig angesehen werden, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass bei hohen Streitwerten auch ein geringfügiger Prozentsatz durchaus einen nicht unerheblichen Nominalwert ausmachen kann. Letztlich ist dies jeweils eine Frage des Einzelfalls.
c) Keine oder verhältnismäßig geringe Mehrkosten.
Rn 9
Darüber hinaus dürfen durch die Zuvielforderung entweder keine Mehrkosten oder nur geringfügige Mehrkosten entstanden sein. Im Gegensatz zu der bis zum 27.7.01 geltenden Gesetzeslage, wonach keine Mehrkosten entstanden sein durften, ist es jetzt also unschädlich, wenn geringfügige Mehrkosten entstehen. Auf die frühere Rspr kann insoweit daher nicht mehr zurückgegriffen werden. Die Mehrkosten können in Anwalts-, Partei- oder Gerichtskosten bestehen, etwa eine durch einen Gebührensprung verursachte Steigerung der Gerichts- und Anwaltsgebühren.
Keine Mehrkosten fallen idR an, wenn lediglich eine Nebenforderung zurückgewiesen wird, weil diese nach § 43 I GKG streitwertmäßig nicht erfasst wird. Ebenfalls fallen keine Mehrkosten an, wenn das Unterliegen nicht zu einem Gebührensprung geführt hat.
Beispiel:
Eingeklagt werden 1.860 EUR. Zugesprochen werden 1.700 EUR.
Hätte der Kl nur 1.700 EUR geltend gemacht, wären dieselben Gerichts- und Anwaltsgebühren angefallen, da zwischen 1.700 und 1.860 EUR kein Gebührensprung liegt.
Beispiel:
Eingeklagt werden 40 zukünftige Mieten (§ 258). Das Gericht spricht nur 38 Mieten zu.
Das Unterliegen mit zwei von 40 Mieten ist geringfügig. Da der Streitwert ohnehin auf 36 Monatsmieten begrenzt ist (§ 9), sind auch keine Mehrkosten entstanden. § 92 II Nr 1 ist anwendbar.
Auch wenn aufgrund des abgewiesenen Mehrwerts keine höheren Gebühren ausgelöst worden sind, können sich aus anderen Gründen Mehrkosten ergeben haben, etwa Kosten einer Beweisaufnahme, wenn über eine abgewiesene geringfügige Mehrforderung Beweis erhoben worden war.
Hier wird man bei der Geringfügigkeit eine Grenze von 10 % annehmen können, wobei auch hier wiederum zu berücksichtigen ist, dass bei sehr hohen Streitwerten ein geringfügiger Prozentsatz durchaus einen nicht unerheblichen Nominalbetrag ausmachen kann. Sind tatsächlich Mehrkosten entstanden, sollte von der Anwendung des § 92 II Nr 1 zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Das AG Hanau nimmt jedenfalls bei einer Abweichung bis zu einem Anteil von 5 % noch eine Geringfügigkeit an (AG Hanau JurBüro 21, 542).
3. Ermessen des Gerichts, sachverständige Ermittlung oder gegenseitige Abrechnung.
a) Überblick.
Rn 10
Das Gericht kann darüber hinaus nach § 92 II Nr 2 einer Partei die gesamten Kosten auferlegen, wenn sie zwar nicht vollständig obsiegt hat, der Betrag der Forderung aber von der Festsetzung durch richterliches Ermessen abhängig war. Dem Wortlaut nach ›Betrag der Forderung‹ gilt diese Alternative nur für Geldforderungen. Man wird sie jedoch auch auf andere Ansprüche entsprechend anwenden müssen.
b) Ermessen des Gerichts.
Rn 11
Unter § 92 II Nr 2 fallen insb unbezifferte Schmerzensgeldklagen oder andere Klagen, bei denen der Kl die Höhe der Forderung nicht beziffern muss, sondern in das Ermessen des Gerichts stellen kann. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem Kl das Risiko abzunehmen, dass er nicht vorhersehen kann, wie das Gericht entscheiden wird. Allerdings muss der Kl bei unbezifferten Klageanträgen ungefähr eine Größenordnung angeben, so dass auch hier die vollständige Kostenlast der beklagten Partei nur dann in Betracht kommt, wenn das Abweichen aufgrund des gerichtlichen Ermessens geringfügig ist. Erreicht die Urteilssumme nicht die vom Kl geäußerte ungefähre Größenvorstellung, so ist die unbezifferte Schmerzensgeldklage mit entsprechender Kostenquote tw abzuweisen (Köln ZfSch 94, 362 = VersR 95, 358).
Ein weiterer Fall nach § 92 II Nr 2 ist dann gegeben, wenn die Herabsetzung einer anwaltlichen Vergütungsforderung aufgrund einer Vergütungsvereinbarung beantragt wird (§ 3a II RVG). Auch hier ist die Herabsetzung in das Ermessen des Gerichts gestellt. Ein bezifferter Antrag ist auch hier nicht erforderlich.
Die Vorschrift des § 92 II Nr 2 gilt auch dann, wenn das Gericht eine Bestimmung nach § 319 BGB ersetzt.
Beispiel:
Der Anwalt klagt eine 2,0-Geschäftsgebühr (Nr 2300 VV RVG) ein. Der Beklagte hält diese Festsetzung für unbillig und zahlt eine 0,9-Gebühr. Der Kl klagt daraufhin den Differenzbetrag ein. Das Gericht hält nach Einholung eines Kammergutachtens den Ansatz einer 2,0-Gebühr für unbillig und hält lediglich eine 1,0-Gebühr für angemessen. Es verurteilt den Beklagten auf den sich danach ergebenden restlichen Differenzbetr...