I. Grundlagen.
Rn 23
Die Frage der Ausgestaltung des Prozesses durch die ihn prägenden Verfahrensgrundsätze (= Prozessmaximen) gehört zu den fundamentalen Positionen jedes Verfahrensrechts. Die Verfahrensgrundsätze bestimmen die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Prozessarten (Zivilprozess, Verwaltungsprozess, Strafprozess). Die Vorwürfe gegen ein angeblich überholtes ›Maximendenken‹ vergangener Zeiten (so insb Bomsdorf Prozessmaximen und Rechtswirklichkeit 1971) sind unberechtigt und werden heute nicht mehr erhoben (vgl Schilken ZZP 135, 2022, 153; Weller ZZP 135, 2022, 265). Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die Vorstellung, dass jedem Verfahren ein gewisser allgemeiner struktureller Aufbau zugrunde liegt, dessen tragende Elemente man ermitteln und iE anführen kann. Die so gewonnene Struktur eines Verfahrens beschreibt nicht jede Einzelheit der Rechtswirklichkeit, sie ermöglicht aber den Rückgriff auf die Grundlagen des gesetzlichen Plans der jeweiligen Verfahrensordnung. So macht es sicherlich einen grundlegenden Unterschied, ob ein bestimmtes Verfahren vAw oder nur auf Antrag der Parteien eingeleitet werden kann, es ist von zentraler Bedeutung, ob das Gericht Streitstoff vAw ermittelt, es prägt das Bild des Verfahrens, ob dieses einem strengen Mündlichkeitsprinzip, dem Grundsatz der Öffentlichkeit und der Unmittelbarkeit des Verfahrens unterliegt. Diese schlagwortartig formulierten Maximen geben nur eine grobe Struktur der jeweiligen Prozessordnung wieder, sie erleichtern aber die Diskussion über deren Wesen und die Verständigung über konkrete Einzelfragen. Die gesamte Rechtsvergleichung setzt solche Strukturmerkmale voraus. Auch die methodische Fortentwicklung einer Verfahrensordnung baut auf solchen Strukturelementen auf. Letztlich machen Prozessmaximen also gewisse Grundentscheidungen des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Verfahrens deutlich. Unabhängig davon weisen die Prozessmaximen keine Rechtsnormqualität auf, sondern sie entfalten ihre Bedeutung dadurch, dass sie in einzelnen Verfahrensnormen vom Gesetzgeber realisiert werden. Die Entwicklung von prozessualen Prinzipien und Standards (iSv Mindeststandards) wird vermehrt auch auf europäischer und internationaler Ebene vorangetrieben (dazu Althammer ZZP 126, 3). Vgl dazu die ›principles of transnational civil procedure‹ von Unidroit (u. Rn 78).
Im Einzelnen lassen sich die zentralen Verfahrensgrundsätze danach bestimmen, wem der Gesetzgeber die Verfahrensherrschaft zuweist, wen er zur Sammlung des Prozessstoffes verpflichtet, wie er den formalen Verfahrensgang ausgestaltet und auf welchen Wegen er für eine Konzentration des Verfahrens sorgt.
II. Verfahrenseinleitung und Verfahrensherrschaft.
1. Begriff.
Rn 24
Soweit es allein die Sache der Parteien ist, ein Verfahren durch einen Antrag einzuleiten und über den Streitgegenstand zu verfügen (Bestimmung von Umfang und Grenzen des Prozesses, Bindung des Gerichts an den Antrag, Möglichkeit von Rücknahmen der Klage oder des Rechtsmittels, Verzicht, Anerkenntnis, Vergleich, Erledigungserklärung), spricht man von der Geltung der Dispositionsmaxime. Den Gegensatz einer Verfahrenseinleitung, Verfahrensbestimmung und Verfahrensbeendigung vAw nennt man Offizialprinzip.
2. Dispositionsmaxime.
Rn 25
In der ZPO gilt durchgehend die Dispositionsmaxime. Diese gilt nicht nur in 1. Instanz, sondern auch in allen Rechtsmittelinstanzen bis hinauf zur Revisionsinstanz und zum Verfahren vor dem Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG). Es ist daher zulässig, eine Entscheidung durch einen Dispositionsakt der Parteien zu verhindern (Klagerücknahme, Rechtsmittelrücknahme, Vergleich, Erledigung der Hauptsache). Mit Wirkung zum 1.1.14 hat der Gesetzgeber dies eingeschränkt (vgl §§ 555, 565).
3. Ausprägung im Verfahren.
Rn 26
Die Geltung der Dispositionsmaxime wird va deutlich in § 308 (Bindung an Parteianträge), § 269 (Rücknahme der Klage), § 263 (Klageänderung), §§ 516, 565 (Rücknahme von Rechtsmitteln), § 306 (Verzicht), § 307 (Anerkenntnis), § 794 Abs 1 Nr 1 (Prozessvergleich), § 91a (Erledigungserklärung).
III. Sammlung des Prozessstoffes.
1. Begriff.
Rn 27
Bei der Sammlung des Prozessstoffes einschl der Beweisführung ist danach zu trennen, ob es Aufgabe der Parteien ist, den Tatsachenstoff in den Prozess einzuführen, die Beweisbedürftigkeit von Behauptungen herbeizuführen und die Beweise beizubringen. Dies ist Gegenstand des Beibringungsgrundsatzes (früher regelmäßig auch Verhandlungsmaxime genannt). Den Gegensatz bildet die Untersuchungsmaxime (Inquisitionsmaxime, Amtsermittlungsgrundsatz). Hier liegt die Verantwortung für den Prozessstoff letztlich beim Gericht, das weder bei der Einführung von Tatsachen noch bei der Beweiserhebung an Anträge, Bestreiten, Geständnisse oder übereinstimmenden Parteivortrag gebunden ist.
2. Beibringungsgrundsatz.
Rn 28
Der Zivilprozess ist vom Beibringungsgrundsatz geprägt. Es sind also allein die Parteien, die den tatsächlichen Stoff in der mündlichen Verhandlung vortragen. Das Gericht ist an diesen Vortrag gebunden und darf seiner Entscheidung nur die vorgebrachten Tatsachen zugrunde legen. Die Behauptung eines von den Parteien nicht vorgetragenen Sachverhalts du...