I. Begriff.
Rn 49
Das prozessuale Verhalten der Beteiligten (Gericht, Parteien, Prozessbevollmächtigte, Nebenintervenienten), das gestaltend auf den Prozess einwirkt, kann nicht mit den Regeln bürgerlich-rechtlicher Willenserklärungen (bei den Parteien) oder hoheitlicher Verwaltungsakte (beim Gericht) gemessen werden. Vielmehr handelt es sich um eigenständige Kategorien mit je eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen und Rechtswirkungen, die sich allein am Prozessrecht messen lassen müssen.
Als Prozesshandlungen des Gerichts sind dabei va die gesamte Prozessleitung, der Amtsbetrieb, die Beweisaufnahmen, die Protokollierung sowie die gerichtlichen Entscheidungen zu nennen. Diese Prozesshandlungen des Gerichts sind nach Voraussetzungen und Rechtswirkungen überwiegend in der ZPO geregelt. Sie sind grds wirksam. Soweit sie fehlerhaft, also unter Verletzung von Verfahrensnormen zustande gekommen sind, sind sie (entweder isoliert oder zusammen mit einer Endentscheidung) idR anfechtbar (zu den Einzelheiten vgl R/S/G §§ 58 ff, insb § 62; zu Ausnahmen von der Wirksamkeit vgl § 62 III, IV).
Zu den Prozesshandlungen der Parteien s.u. Rn 50; zu den Prozessverträgen s.u. Rn 55.
II. Prozesshandlungen der Parteien.
1. Begriff und Arten.
Rn 50
Unter den Prozesshandlungen der Parteien werden alle Handlungen von Prozessparteien, Nebenintervenienten und Prozessbevollmächtigten zusammengefasst, deren Hauptwirkung unabhängig von der Regelung iE auf prozessualem Gebiet liegt, sog funktioneller Prozesshandlungsbegriff (grdl Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozesshandlung einer Partei im Zivilprozess 1957). Dabei ist der Begriff der Prozesshandlung als prozessgestaltendes Verhalten im weiteren Sinn zu sehen. Darunter fallen auch Unterlassungen, nicht aber reine Realakte und Rechtsgeschäfte, deren Hauptwirkungen auf dem Gebiet des materiellen Rechts liegen.
Als Prozesshandlungen iE sind anzusehen die Klage, alle übrigen Anträge an das Gericht, alle Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, Behauptungen, Bestreiten, Gestehen, Anerkenntnis, Verzicht, Nebenintervention, Prozessvergleich (Doppelnatur), Widerruf und Rücknahme von Prozesshandlungen. Keine Prozesshandlungen sind und bleiben zivilrechtliche Willenserklärungen wie die Aufrechnung, Anfechtung, Kündigung, Rücktritt, auch wenn sie im Prozess erklärt werden. In diesen Fällen ist zu trennen. Die Erklärung der Aufrechnung ggü der Gegenpartei ist Willenserklärung, die Geltendmachung der (erklärten) Aufrechnung im Prozess ggü dem Gericht ist Prozesshandlung. Ähnliches gilt für alle gestaltenden Erklärungen. Allein der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur und ist materiell-rechtliche Willenserklärung und Prozesshandlung in Einem (s.u. § 794 Rn 2).
2. Voraussetzungen.
Rn 51
Grundsätzliche Voraussetzungen einer wirksamen Prozesshandlung (sog Prozesshandlungsvoraussetzungen) sind die Parteifähigkeit (§ 50) die Prozessfähigkeit (§§ 51, 52, 53) bzw die wirksame gesetzliche Vertretung, die Postulationsfähigkeit (§ 78) sowie die Prozessvollmacht (§ 80). Darüber hinaus kennt das Gesetz in Einzelfällen weitere Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Handlung.
3. Unterschiede zwischen Willenserklärung und Prozesshandlung.
Rn 52
Prozesshandlungen müssen in der mündlichen Verhandlung vorgenommen werden, Willenserklärungen können in jeder Form (zB schriftlich) erklärt werden. Die Erklärung einer Prozesshandlung wendet sich an das Gericht, eine Willenserklärung richtet sich an die Gegenpartei. Prozesshandlungen sind im Grundsatz frei widerruflich, Willenserklärungen sind unwiderruflich. Prozesshandlungen sind wegen Willensmängeln unanfechtbar, Willenserklärungen sind grds anfechtbar. Die Wirkung einer Prozesshandlung zeigt sich ausschl in der gerichtlichen Entscheidung, die Wirkung von Willenserklärungen tritt in jedem Falle ein, auch wenn eine gerichtliche Entscheidung unterbleibt. Prozesshandlungen sind im Grundsatz bedingungsfeindlich, Willenserklärungen sind im Normalfall einer Bedingung zugänglich.
4. Trennung von Erwirkungshandlungen und Bewirkungshandlungen.
Rn 53
Prozesshandlungen der Parteien sind in aller Regel Erwirkungshandlungen (grdl Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage 1925). Damit soll gesagt sein, dass sie das Gericht zu einer bestimmten Entscheidung veranlassen sollen. Sie haben keine selbstständige, über den konkreten Prozess hinausreichende Wirkung, sondern erschöpfen sich darin, nach Möglichkeit auf eine gerichtliche Entscheidung einzuwirken. Erwirkungshandlungen sind entweder Anträge, Behauptungen oder Beweisführungen (R/S/G § 64 Rz 2).
In seltenen Fällen können Parteihandlungen aber auch Bewirkungshandlungen sein. Dies bedeutet, dass sie unmittelbar eine bestimmte prozessuale Wirkung, also eine Prozesslage, begründen und sich damit unmittelbar auswirken. Solche Bewirkungshandlungen sind insb die Rücknahme der Klage (§ 269), die Rücknahme von Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen (§§ 346, 516, 565), ferner der Verzicht auf Rügen zur Zulässigkeit (§ 296 III), auf das Geltendmachen von Verfahrensmängeln (§ 295), auf Rechtsmittel und Rechtsbehelfe (§§ 346, 515, 565), ferner der Verzicht auf prozessuale Einreden (§§ 269 VI, 1032 I).
5. Mängel.
Rn 54
Fehlen die Prozesshandlungsvoraussetzungen bei der Vornahme einer Prozes...