I. Begriff und Arten.
Rn 59
Eine gütliche Streitbeilegung (Alternativen zur Ziviljustiz; ADR = alternative dispute resolution) ohne kontradiktorisches Verfahren und autoritative Streitentscheidung ist in vielfältiger Weise möglich und in Zivilstreitigkeiten erwünscht (BVerfG NJW-RR 07, 1073 hält dies sogar für vorzugswürdig). Grundsätzlich zu trennen sind dabei 4 Formen einer Streitbeilegung ohne staatlichen Richterspruch, nämlich die Verhandlungslösung allein zwischen den Streitparteien (negotiation), die Mediation unter Zuziehung eines unterstützenden Mediators (mediation), die vielfältigen Formen der Schlichtung unter der Führung eines Schlichters (conciliation) sowie die private Schiedsgerichtsbarkeit mit der Autorität eines Schiedsgerichts (arbitration). Soweit alle diese Streitbeilegungsformen außer- und vorgerichtlich ablaufen, haben sie keine Berührungspunkte zum staatlichen Zivilprozess. Insb beschränken sie nicht den verfassungsrechtlich garantierten Zugang zu Gericht. Es gibt allerdings auch vielfältige Überschneidungen. Der europäische und der deutsche Gesetzgeber fördern die Entwicklung und die Stärkung der gütlichen Streitbeilegung durch neue Gesetze. So gilt im Bereich der Mediation seit 26.7.12 das MediationsG vom 21.7.12 (BGBl I 1579; s.u. die Kommentierung zum MediationsG). Für Verbraucher hat der Gesetzgeber ferner das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG vom 19.2.16, BGBl I 254, ber 1093) geschaffen, das am 1.4.16 in Kraft getreten ist (s.u. die Kommentierung zum VSBG).
II. Außergerichtliche Streitbeilegung und Zivilprozess.
1. Obligatorische Streitschlichtung.
Rn 60
Durch eine Öffnungsklausel hat der Gesetzgeber in § 15a EGZPO dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit gegeben, vor Erhebung einer Klage beim Amtsgericht bis zum Streitwert von 750 EUR eine obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung vorzuschalten. Soweit die Landesgesetzgeber (in der Hälfte aller Bundesländer) von dieser Lösung Gebrauch gemacht haben, ist eine zum Amtsgericht erhobene Klage erst nach Durchführung dieser obligatorischen Streitschlichtung zulässig (vgl Prütting Außergerichtliche Streitschlichtung 2003; Deckenbrock/Jordans MDR 17, 376).
2. Anwaltsvergleich.
Rn 61
Durch eine gerichtliche Vollstreckbarerklärung nach § 796b oder durch eine notarielle Vollstreckbarerklärung nach § 796c kann ohne gerichtliche Auseinandersetzung auch ein sog Anwaltsvergleich nach § 796a zum Vollstreckungstitel werden (vgl § 794 I Nr 4b).
3. Temporärer Klageverzicht.
Rn 62
Die Parteien können im Vorfeld streitiger Auseinandersetzungen vereinbaren, dass sie zunächst und vor der Erhebung einer Klage zum staatlichen Gericht eine Verhandlungslösung anstreben, eine Schlichtung versuchen, ein Mediationsverfahren versuchen oder iRe Schiedsklausel ein schiedsgerichtliches Verfahren anstreben. Möglich ist auch eine Kombination solcher Vereinbarungen im Wege einer Eskalationsklausel (Berger FS Schlosser 05, 19). Alle diese Vereinbarungen werden zugleich als Verträge über einen vorläufigen (temporären) Klageverzicht interpretiert. Damit wirken sie wie ein vorläufiges pactum de non petendo. Die Folge ist in allen Fällen, dass eine dennoch zum staatlichen Gericht erhobene Klage als derzeit unzulässig abzuweisen wäre (BGH NJW 84, 669 = ZZP 99, 90 mit krit Anm Prütting; umfassend jetzt Hilbig-Lugani ZZP 126, 463). Im Falle von Schiedsklauseln ordnet § 1032 diese Wirkung auf Einrede hin dauerhaft an.
III. Gerichtliche Streitbeilegung ohne Urteil.
1. Vergleichsbemühungen und Vergleich.
Rn 63
Soweit Rechtshängigkeit eines Verfahrens vorliegt, ist das Gericht verpflichtet, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken (§ 278 I). Dazu ist insb vom Gesetzgeber obligatorisch angeordnet, dass der mündlichen Verhandlung zum Zweck der gütlichen Streitbeilegung eine Güteverhandlung vorausgeht (§ 278 II). Soweit ein Prozessvergleich geschlossen wird, stellt er einen Vollstreckungstitel dar (§ 794 I Nr 1). Ein solcher gerichtlicher Vergleich kann außer in der mündlichen Verhandlung auch durch schriftlichen Vergleichsvorschlag geschlossen werden (§ 278 VI).
2. Selbstständiges Beweisverfahren.
Rn 64
Eine weitere Form gerichtlicher Streitbeilegung ohne Urt bietet die Möglichkeit des selbstständigen Beweisverfahrens gem §§ 485 ff. Ohne Rechtshängigkeit der Hauptsache bietet dieses Verfahren ebenfalls eine Möglichkeit, einen Prozessvergleich abzuschließen (§ 492 III).
3. Gerichtliche Mediation.
Rn 65
Im Wege von Modellversuchen wurde bis 1.8.13 in nahezu allen Bundesländern der Versuch gemacht, trotz Rechtshängigkeit des Verfahrens durch Einsatz von Richtermediatoren zu einer gütlichen Streitbeilegung zu gelangen. Problematisch war dabei, dass alle Modellversuche ohne eine ausreichende gesetzliche Grundlage stattfanden (Prütting ZZP 124, 163, 165). Auch über die organisatorischen Bedenken bei § 278 hinaus war der Einsatz von Richtern als Mediatoren durchaus problematisch (Prütting ZZP 124, 163; ders Kammerforum RAK Köln 09, 99, 106 = ZAP 09, 919; ders DRiZ 09, 361). Der Gesetzgeber hat ein ›Gesetz zur Förderung der Mediation‹ v 21.7.12 (BGBl I 1577) erlassen, das in Art 1 ein eigenes MediationsG für außergerichtliche Konfliktbeilegung enthält, und das einen neuen § 278a geschaffen hat, um die Parteien auch bei Rechtshängigkeit noch zu e...