Prof. Dr. Christian Katzenmeier
Rn 1
Der SV ist Gehilfe des Gerichts (BGHZ 168, 380, 383 = NJW 06, 3214). Er kann wegen seiner besonderen, dem Gericht überlegenen Sachkunde bedeutenden Einfluss auf die Urteilsfindung gewinnen. Letztlich muss aber das Gericht die Rechtsfälle aus eigener Überzeugung entscheiden (s Rn 4; näher zum Verhältnis von Richter und SV Meller-Hannich ZZP 129, 263 ff; Stamm ZZP 124, 433 ff; Olzen ZZP 93, 66 ff; Franzki DRiZ 91, 314 ff).
1. Allgemein.
Rn 2
Der SV vermittelt Fachwissen (idR Erfahrungssätze, s § 284 Rn 11, s.a. Rn 5) und daraus gewonnene Schlussfolgerungen. Er kann auch zur Feststellung von Tatsachen herangezogen werden, wenn hierzu eine besondere Sachkunde erforderlich ist. Zur Abgrenzung vom (sachverständigen) Zeugen s Rn 6; zur Ermittlungstätigkeit in Vorbereitung eines Gutachtens vgl § 404a IV (s § 404a Rn 8–10); die Feststellung der Anknüpfungstatsachen ist aber grds Aufgabe des Gerichts (s § 355 Rn 9, § 404a Rn 5).
2. Rechtsfragen.
Rn 3
Es ist nicht Aufgabe des SV, sich zu Rechtsfragen zu äußern (Ausnahme: § 293). Die Beantwortung von Rechtsfragen ist vielmehr originäre und zuvorderste Aufgabe des Gerichts (vgl BGHZ 184, 49, 57 = GRUR 10, 314, 317; BGH VersR 10, 1055, 1056). Dies betrifft insb die rechtliche Würdigung von Tatsachen (Subsumtion). Auch wenn die Differenzierung zwischen Tatsachen- und Rechtsfragen bisweilen schwierig ist (s etwa zur Bestimmung der Mangelhaftigkeit der Werkleistung im privaten Bauprozess Sass BauR 14, 181; Seibel NJW 14, 1628; Luz BauR 17, 14), muss das Gericht die Einhaltung der Grenzen bei Erhebung und Bewertung des Sachverständigenbeweises aufmerksam beachten und den SV ggf (auch schon vor Beginn der Begutachtung) darauf hinweisen (vgl § 404a, ggf Klärung und Korrektur im Wege einer mündlichen Anhörung, § 411 III; zu Hinweisen des Gerichts an den SV in rechtlicher Hinsicht § 404a Rn 3). Besondere Vorsicht ist geboten bei dem Gebrauch von gleich lautenden Worten der Alltags- und Fachsprache, deren Bedeutung in der Rechtssprache idR nicht identisch ist (zB Ursächlichkeit, Sorgfalt, Fahrlässigkeit, Verschulden), oder von Rechtsbegriffen, die in unterschiedlichen Rechtsgebieten verschiedene Bedeutungen haben können (zB Kausalität im Zivil- und Sozialrecht), aber auch bei der Feststellung von Handelsbräuchen und Verkehrssitten (dazu BGH NJW-RR 04, 1248, 1249 [BGH 17.06.2004 - VII ZR 75/03]). Die verfahrensfehlerhafte Übertragung von Rechtsfragen an den SV kann nach § 21 I GKG zur tw Nichterhebbarkeit der Gutachterkosten führen (Nürnbg BauR 11, 141; vgl auch § 407a Rn 16, § 413 Rn 1).
3. Beweiswürdigung.
Rn 4
Aus dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 I 1) ergibt sich das Recht und die Pflicht des Richters, das Sachverständigengutachten in allen Punkten einer selbstständigen, eigenverantwortlichen Prüfung zu unterziehen. Richtigkeit und Vollständigkeit der dem Gutachten zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen sowie der vom SV aufgrund seiner Sachkunde festgestellten Befundtatsachen sind zu kontrollieren (s § 404a Rn 12 f) und die Schlussfolgerungen des SV auf ihre Überzeugungskraft hin zu prüfen. Dies gilt umso mehr, je schwieriger die zu beantwortende Fachfrage ist. Das Gericht hat sich die Entscheidung selbst zu erarbeiten und die Begründung selbst zu durchdenken, denn die rechtsprechende Gewalt ist den unabhängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Richtern anvertraut (Art 92, 97 GG), sie dürfen sich vom SV nur helfen lassen (richtungsweisend BGHSt 8, 113 = NJW 55, 1642, 1643). Im Einzelfall kann es geboten sein, dass der Richter sich durch Fachliteratur unterrichtet, um sich in die Lage zu versetzen, ein Gutachten krit würdigen zu können (BGH NJW 93, 2378 [BGH 02.03.1993 - VI ZR 104/92]). Die Äußerungen des SV sind insgesamt auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit sowie Widerspruchsfreiheit (in sich – gerade auch bei mehreren Äußerungen, §§ 411 III, 412 – und zu anderen, auch außergerichtlichen Gutachten) nachzuvollziehen und zu überprüfen (stRspr: BGH VersR 09, 499, 500; 09, 518, 519; 09, 817; NJW 14, 74, 76; VersR 15, 1293, 1294). Unklarheiten sind vAw zu beseitigen, zB durch gezielte Befragung (BGH NJW 10, 3230). Bei der inhaltlichen Beurteilung, etwa auch bzgl des Sachverstands des Gutachters und der Aktualität der angewendeten Methoden etc, ist zu beachten, dass das Gericht gerade deshalb ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, weil es sich selbst nicht für ausreichend sachkundig hält (§ 403 Rn 5, s.a. § 412 Rn 3). Ggf ist eine Ergänzung oder Klarstellung (schriftlich und/oder mündlich) durch den SV (§ 411 III, s § 411 Rn 17–25) oder ein neues Gutachten durch denselben oder einen neuen SV einzuholen (s dazu § 412; BGH VersR 09, 499, 500; BVerwG NJW 09, 2614). Einwendungen der Parteien (s § 411 IV) sind – soweit nicht offensichtlich unbegründet – ernst zu nehmen und abzuklären. Schließlich hat das Gericht die für seine Überzeugung leitenden Gründe im Urt darzustellen (s.a. § 403 Rn 5 zu gerichtlicher Sachkunde). Dieses muss erkennen lassen, dass das Gericht das Vorbringen der Parteien zu den Ausführu...