Gesetzestext

 

Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Die Umdeutung (Konversion) eines nichtigen Rechtsgeschäfts in ein anderes Rechtsgeschäft (Ersatzgeschäft) beachtet einerseits die Nichtigkeitsvorschriften und dient andererseits der Durchsetzung des Parteiwillens, ohne ein erneutes Rechtsgeschäft zu erfordern (RGZ 129, 123; Bork AT Rz 1227). Ihr Ziel besteht darin, den von den Parteien angestrebten wirtschaftlichen Erfolg auch dann zu verwirklichen, wenn das von ihnen dafür gewählte Mittel unzulässig ist, aber ein anderer gangbarer Weg zur Verfügung steht, der zum annähernd gleichen wirtschaftlichen Resultat führt (BGH NJW 77, 1234 [BGH 27.04.1977 - IV ZR 143/76]; BAG NJW 02, 2973 [BAG 15.11.2001 - 2 AZR 310/00]).

B. Abgrenzungen.

I. Auslegung.

 

Rn 2

Die Auslegung geht der Umdeutung stets vor (BGH WM 59, 330; ZIP 01, 307). Oft wird erst durch Auslegung festzustellen sein, ob das erklärte Rechtsgeschäft nichtig ist. Bei einer Falschbezeichnung (falsa demonstratio, § 133 Rn 21) gilt das Rechtsgeschäft nach den allg Auslegungsregeln mit dem übereinstimmend gewollten Inhalt. Eine Umdeutung ist nicht erforderlich (MüKo/Busche § 140 Rz 4). Die Umdeutung bildet keinen Unterfall der Auslegung (anders Erman/Palm 12. Aufl Rz 7), denn die Auslegung dient der Ermittlung des realen Willens, während die Umdeutung auf einen hypothetischen Willen abstellt (BGHZ 19, 273). Berührungspunkte bestehen va mit der ergänzenden Vertragsauslegung, die ebenfalls einen hypothetischen Parteiwillen zugrunde legt (BGHZ 19, 273; Staud/Roth Rz 8). Zumindest theoretisch lässt sich eine klare Scheidelinie ziehen, denn die ergänzende Vertragsauslegung soll nur Lücken in einem insges wirksamen Vertrag schließen, während die Umdeutung ein nichtiges Rechtsgeschäft ersetzen soll.

II. Salvatorische Klauseln.

 

Rn 3

Vereinbaren die Parteien, dass im Fall der Nichtigkeit eine andere Regelung als Ersatz gelten soll, Konversionsklausel (RGZ 125, 212), besteht für eine Umdeutung kein Raum, denn es liegt ein wirksames bedingtes Rechtsgeschäft vor (BaRoth/Wendtland Rz 4). Die Parteien können auch eine Umdeutung ausschließen (MüKo/Busche § 140 Rz 6).

III. Sonderregeln.

 

Rn 4

Ohne Rücksicht auf einen hypothetischen Willen gilt nach § 150 I eine verspätete Annahmeerklärung als neuer Antrag. Sonderregeln enthalten auch die §§ 550, 2301, während § 2101 als spezieller Fall des § 140 interpretiert wird (Staud/Roth Rz 5).

C. Voraussetzungen.

I. Rechtsgeschäft.

 

Rn 5

Alle Arten von Rechtsgeschäften können umgedeutet werden, also einseitige Rechtsgeschäfte (BAG NJW 02, 2973 [BAG 15.11.2001 - 2 AZR 310/00]), gegenseitige Verträge (BGH NJW 63, 339 [BGH 28.11.1962 - V ZR 127/61]), Verfügungen (RGZ 66, 28; 124, 30), auch des Nichtberechtigten (Völzmann Rpfleger 05, 65; aA RGZ 124, 31), familienrechtliche Rechtsgeschäfte (Karlsr NJW 77,1731), Verfügungen von Todes wegen (BGHZ 40, 224) und andere erbrechtliche Geschäfte (RGZ 129, 123). Fehlerhafte Prozesshandlungen der Parteien können entspr § 140 umgedeutet werden (BGH NJW 01, 1218 [BGH 06.12.2000 - XII ZR 219/98]; 07, 1461 [BGH 01.02.2007 - V ZB 110/06]; 17, 260 [BGH 28.09.2016 - XII ZB 487/15]; s.u. Rn 18). Im Grundbuchverfahren ist eine Umdeutung unter den formellen Anforderungen des Grundbuchverfahrensrechts möglich (BayObLG NJW-RR 97, 1238 [BayObLG 18.03.1997 - 2 ZBR 129/96]; 99, 621 [BayObLG 25.06.1998 - 2 ZBR 55/98]). Öffentlich-rechtliche Verträge können nach § 62 2 VwVfG entspr § 140 umgedeutet werden (BGHZ 76, 28; BVerwG NJW 80, 2539). Für fehlerhafte Verwaltungsakte enthält § 47 VwVfG eine Sonderregelung. Umstr ist, ob § 140 auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen angewendet werden kann (Staud/Roth Rz 12).

II. Nichtigkeit.

 

Rn 6

Das Rechtsgeschäft muss insgesamt nichtig sein. Eine Teilnichtigkeit genügt nicht, es sei denn, sie hat über § 139 zur Gesamtnichtigkeit geführt (MüKo/Busche § 140 Rz 12). Gültige, heilbare oder schwebend unwirksame (bis zum Eintritt der endgültigen Unwirksamkeit) Rechtsgeschäfte können nicht umgedeutet werden (BGH ZIP 09, 264 Tz 31, fehlende Genehmigung; Staud/Roth Rz 14); keine Umdeutung, wenn der Vertragsschluss am Dissens gescheitert ist (RGZ 93, 300). Grds werden alle Nichtigkeitsgründe erfasst (AnwK/Faust Rz 10), praktisch erfolgt eine Konversion va bei Formnichtigkeit (BGH NJW 80, 2517 [BGH 05.02.1980 - KZR 13/79]) und bei Verstößen gegen zwingende gesetzliche Vorschriften zB des Typenzwangs (Neuner § 57 Rz 2). Auf endgültig unwirksame Rechtsgeschäfte, etwa nach Verweigerung einer Genehmigung (BGHZ 40, 222), oder auf eine ohne wichtigen Grund erklärte außerordentliche Kündigung (BGH NJW 98, 76) ist § 140 anwendbar. Umstr ist, ob ein angefochtenes Rechtsgeschäft umgedeutet werden kann. Dies ist prinzipiell zu bejahen, da die angefochtene Erklärung ihre Bedeutung als Manifestation eines Willens nicht restlos verloren hat (Soergel/Hefermehl Rz 3; Bork AT Rz 1228 Fn 38; aA Medicus/Petersen AT Rz 518), doch muss dazu der fehlerfreie Inhalt der Willenserklärung feststel...

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